Entscheidungsstichwort (Thema)

Entschädigungsanspruch eines Schwerbehinderten wegen Nichteinladung zum Vorstellungsgespräch. Entschädigungsanspruch wegen Nichteinladung eines Schwerbehinderten zum Vorstellungsgespräch

 

Leitsatz (amtlich)

Legt ein Bewerber nur einen abgelaufenen Schwerbehindertenausweis vor, so verletzt ein öffentlicher Arbeitgeber § 82 S. 2 SGB IX nicht, wenn er den Bewerber nicht zum Vorstellungsgespräch einlädt.

 

Normenkette

SGB IX § 81 Abs. 2 S. 1, § 82 S. 2; AGG § 15 Abs. 2, § 22

 

Verfahrensgang

ArbG Köln (Entscheidung vom 11.01.2012; Aktenzeichen 3 Ca 4849/11)

 

Tenor

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Köln vom 11.01.2012 - 3 Ca 4849/11 - unter Zurückweisung der Berufung des Klägers abgeändert:

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits hat der Kläger zu tragen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten um Entschädigungsansprüche des Klägers wegen einer Benachteiligung aufgrund der Schwerbehinderung des Klägers. Dabei geht es im Wesentlichen um die Frage, ob die Beklagte den Kläger nach § 82 S. 2 SGB IX zu einem Vorstellungsgespräch hat einladen müssen, insbesondere darum, ob sie aufgrund einer Fotokopie eines im November 2008 abgelaufenen Schwerbehindertenausweises, der sich im hinteren Drittel der mehr als 100 Seiten umfassenden Bewerbungsunterlagen befand, Kenntnis von der Schwerbehinderung des Klägers hat haben müssen.

Wegen des - im Wesentlichen unstreitigen - Sachvortrages der Parteien in erster Instanz sowie der erstinstanzlich gestellten Anträge wird gem. § 69 Abs. 3 ArbGG auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils Bezug genommen.

Das Arbeitsgericht hat mit Urteil vom 11.01.2012 der Klage zum Teil stattgegeben, nämlich die Beklagte zu einer Entschädigung in Höhe von 1.000,00 € verurteilt und im Übrigen die auf eine Entschädigung in Höhe von 15.000,00 € zielende Klage abgewiesen.

Gegen dieses ihr am 31.01.2012 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 27.02.2012 Berufung eingelegt und diese nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 30.04.2012 am 30.04.2012 begründet.

Der Kläger hat ebenfalls gegen das ihm am 08.02.2012 zugestellte Urteil am 01.03.2012 Berufung eingelegt und diese nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 08.05.2012 am 08.05.2012 begründet. Beide Parteien verfolgten in der Berufungsinstanz ihre erstinstanzlichen Prozessziele im Wesentlichen ohne neuen Tatsachenvortrag mit Rechtsausführungen weiter. Wegen des genauen Inhalts der Berufungsbegründung der Beklagten wird auf Bl. 195 - 204 d. A. Bezug genommen. Wegen des genauen Inhalts der Berufungsbegründung des Klägers wird auf Bl. 224 - 228 d. A. Bezug genommen.

Die Beklagte beantragt,

das angefochtene Urteil abzuändern und die Klage insgesamt kostenpflichtig abzuweisen sowie ferner

die Berufung des Klägers zurückzuweisen.

Der Kläger beantragt,

  • 1.

    die Berufung der Beklagten und Berufungsbeklagten zurückzuweisen;

  • 2.

    die Beklagte und Berufungsbeklagte unter teilweiser Aufhebung des Urteils vom 11.01.2012 zur Zahlung einer Entschädigung an den Kläger nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit, die in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, jedoch 6.000,00 € nicht unterschreiten sollte, zu verurteilen.

Im Übrigen wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren.

 

Entscheidungsgründe

Die zulässige, form- und fristgerecht eingelegte und begründete Berufung der Beklagten hatte in der Sache Erfolg. Die Klage war abzuweisen. Dementsprechend hatte die ebenfalls zulässige, form- und fristgerecht eingelegte und begründete Berufung des Klägers keinen Erfolg.

I. Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (vgl. insbesondere 21.07.2009 - 9 AZR 431/08) folgt aus einer Verletzung des § 81 Abs. 2 S. 1 SGB IX, wonach Arbeitgeber schwerbehinderte Beschäftigte nicht wegen ihrer Behinderung benachteiligen dürfen, ein Entschädigungsanspruch aus § 15 Abs. 2 S. 1 u. 2 AGG, auch wenn der Beschäftigte bei benachteiligungsfreier Auswahl nicht eingestellt worden wäre.

1. Dabei geht das Bundesarbeitsgericht davon aus, dass eine Verletzung des § 82 S. 2 SGB IX stets die Vermutung begründet, dass eine Benachteiligung im Bewerbungsverfahren wegen der Schwerbehinderung erfolgt ist. Nach § 82 S. 2 SGB IX haben öffentliche Arbeitgeber einen schwerbehinderten Bewerber zu einem Vorstellungsgespräch einzuladen. Eine Einladung ist nach § 82 S. 3 SGB IX nur dann entbehrlich, wenn die fachliche Eignung offensichtlich fehlt.

Wurde ein schwerbehinderter Bewerber zu dem Vorstellungsgespräch nicht eingeladen und fehlt ihm die fachliche Eignung offensichtlich nicht, dann ist nach dieser Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts die Vermutung des § 22 AGG begründet. Dann muss der Arbeitgeber widerlegen, dass die Behinderung (mit-)ursächlich für die benachteiligende Handlung (Nichteinladung zum Vorstellungsgespräch) gewesen ist.

2. Für die Annahme eines zu dem Eingreife...

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