Entscheidungsstichwort (Thema)

Tarifvertrag zur Bildung eines gemeinsamen Betriebsrats für sämtliche Konzernunternehmen. Unbegründeter Antrag des Betriebsrats eines Konzernunternehmens auf Feststellung der Berechtigung zur Wahl eines eigenen Betriebsrats wegen Rechtwidrigkeit des dies ausschließenden Tarifvertrages

 

Leitsatz (redaktionell)

1. § 3 Abs. 1 BetrVG sieht unter bestimmten Voraussetzungen vor, dass die Tarifvertragsparteien vom Gesetz abweichende betriebsverfassungsrechtliche Strukturen vereinbaren können, wobei die Merkmale "erleichterte Bildung von Betriebsräten", "Zweckmäßigkeit" und "Sachgerechtigkeit" als unbestimmte Rechtsbegriffe ungenau gefasst und schwer zu bestimmen sind; die den Tarifparteien insoweit eröffneten Handlungsspielräume sind verfassungsrechtlich unbedenklich.

2. Unter Berücksichtigung des den Tarifvertragsparteien eingeräumten Beurteilungs- und Gestaltungsspielraums können andere Vertretungen der abhängig Beschäftigten gebildet werden, soweit dies insbesondere auf Grund der Betriebs-, Unternehmens- oder Konzernorganisation oder auf Grund anderer Formen der Zusammenarbeit von Unternehmen einer wirksamen und zweckmäßigen Interessenvertretung der Beschäftigten dient.

3. Ein Tarifvertrag dient einer wirksamen und zweckmäßigen Interessenvertretung, wenn es sachgerecht erscheint, nicht nur statisch einen bestimmten Zustand festzuschreiben sondern bei der tariflichen Regelung bereits die Möglichkeit späterer Veränderungen der Unternehmensstruktur zu berücksichtigen; dabei berücksichtigt gerade eine einheitliche gemeinsame Interessenvertretung ("Gemeinsamer Betriebsrat") solche möglichen Änderungen in der internen Struktur eines Konzerns, wenn etwa durch die Vergrößerung dieses Gremiums auf 23 Mitglieder eine größere Spezialisierung und eine effektivere Betriebsratsarbeit ermöglicht wird, da mit dieser Größe eine Bildung von Ausschüssen (§ 27 Abs. 1 und § 28 BetrVG) und Arbeitsgruppen (§ 28a BetrVG) möglich wird und diese mit einer hinreichenden Zahl von jeweils besonders fachkundigen Betriebsratsmitgliedern besetzt werden können.

4. Im Interesse einer sachgerechten Wahrnehmung der Interessen abhängig Beschäftigter ("zweckmäßige" Wahrnehmung im Sinne des § 3 Abs. 1 Nr. 3) liegt es insbesondere, wenn die Interessenvertretungen dort errichtet werden, wo unternehmerische Leitungsmacht konkret entfaltet und ausgeübt wird und die mitbestimmungsrechtlich relevanten Entscheidungen getroffen werden; ist daher bei der Konzernmutter eine zentralisierte Personalabteilung gebildet, die jedenfalls faktisch einem gemeinsamen Betriebsrat als zentraler Ansprechpartner zur Verfügung stehen soll, ist auch dann, wenn diese zentrale Personalabteilung in rechtlicher Hinsicht nicht die Verantwortlichkeit die Geschäftsführung der einzelnen Unternehmen verdrängt, von dem typischen Fall auszugehen, dass die zentralisierte Personalabteilung auf der obersten Konzernebene unter Nutzung der konzernrechtlichen Weisungsmöglichkeiten der koordinierende (wenn nicht bestimmende) Faktor in Personalangelegenheiten ist.

5. Nach § 7 EnWG haben vertikal integrierte Energieversorgungsunternehmen sicher zu stellen, dass Verteilernetzbetreiber, die mit ihnen im Sinne von § 3 Nr. 38 EnWG verbunden sind, hinsichtlich ihrer Rechtsform unabhängig von anderen Tätigkeitsbereichen der Energieversorgung sind; es ist nicht erkennbar, dass Personen, die mit Leitungsaufgaben für den Verteilernetzbetreiber betraut sind oder die Befugnis zu Letztentscheidungen besitzen, einem in diesem Zusammenhang bedeutsamen Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats unterfallen und nicht unter § 5 Abs. 3 BetrVG fallen.

 

Normenkette

BetrVG § 3 Abs. 1 Nr. 3, § 5 Abs. 3, § 13 Abs. 1, § 27 Abs. 1, §§ 28, 28a; EnWG § 3 Nr. 38, § 7

 

Verfahrensgang

ArbG Aachen (Entscheidung vom 03.05.2012; Aktenzeichen 1 BV 6/12)

 

Tenor

Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Aachen vom 03.05.2012- 1 BV 6/12 h - wird zurückgewiesen.

Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

 

Gründe

I.

Die Beteiligten streiten darüber, ob im Betrieb der Beteiligten zu 2., deren derzeitiger Betriebsrat der Antragsteller ist, zum Zeitpunkt der regelmäßigen Betriebsratswahlen (nach wie vor) gemäß § 13 Abs. 1 BetrVG ein Betriebsrat zu wählen ist. Hintergrund dieses Streites der Beteiligten ist, dass mit Wirkung zum 01.04.2011 zwischen der Beteiligten zu 5. (Konzernobergesellschaft) und 19 weiteren konzernangehörigen Unternehmen, darunter die Beteiligte zu 2. auf der einen Seite und der Gewerkschaft ver.di, der Beteiligten zu 3., auf der anderen Seite ein Tarifvertrag nach § 3 Abs. 1 BetrVG zur Bildung eines gemeinsamen Betriebsrates geschlossen worden ist, dessen Unwirksamkeit - jedenfalls für den Betrieb der Beteiligten zu 2. - der Antragsteller im vorliegenden Verfahren geltend macht.

Wegen der Einzelheiten dieses Tarifvertrages wird auf Bl. 8 ff. d. A. Bezug genommen.

Die Beteiligten zu 4. bis 17. sind Unterzeichnerinnen des Tarifvertrages und - mit Ausnahme der Beteiligten zu 5. Töch...

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