Entscheidungsstichwort (Thema)

Wirksamkeit einer Verdachtskündigung. Rechtsfolgen des Übergehens eines Klagebegehrens durch das Arbeitsgericht

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Eine Verdachtskündigung kommt nur in Betracht, wenn dringende, auf objektiven Tatsachen beruhende schwerwiegende Verdachtsmomente vorliegen und diese geeignet sind, das für die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses erforderliche Vertrauen bei einem verständigen und gerecht abwägenden Arbeitgeber zu zerstören. Der Arbeitgeber muss alle zumutbaren Anstrengungen zur Aufklärung des Sachverhalts unternommen, insbesondere dem Arbeitnehmer Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben haben. Dabei sind an die Darlegung und Qualität der schwerwiegenden Verdachtsmomente besonders strenge Anforderungen zu stellen, weil bei einer Verdachtskündigung immer die Gefahr besteht, dass ein “Unschuldiger„ betroffen ist. Bloße auf mehr oder weniger haltbare Vermutungen gestützte Verdächtigungen reichen zur Rechtfertigung eines dringenden Tatverdachts nicht aus.

2. Hat das Arbeitsgericht ein Klagebegehren (hier Kündigungsschutzklage gegen eine hilfsweise ausgesprochene fristgemäße Kündigung) nicht beschieden, so ist zunächst auf eine Berichtigung des Tatbestandes gem. § 320 ZPO hinzuwirken. Unter Berücksichtigung des berichtigten Tatbestandes ist dann innerhalb der Frist des § 321 Abs. 2 ZPO Urteilsergänzung zu beantragen. Mit Ablauf der Antragsfrist des § 321 Abs. 2 ZPO, die erst mit Zustellung des Berichtigungsbeschlusses und nicht bereits mit Zustellung des Urteils zu laufen beginnt, entfällt alsdann die Rechtshängigkeit der Klage, soweit sie Gegenstand des übergegangenen Antrags gewesen ist.

 

Normenkette

BGB § 626 Abs. 1; ZPO §§ 320, 321 Abs. 2

 

Verfahrensgang

ArbG Dortmund (Entscheidung vom 01.09.2011; Aktenzeichen 3 Ca 5263/09)

 

Nachgehend

BAG (Urteil vom 11.07.2013; Aktenzeichen 2 AZR 597/12)

 

Tenor

Auf die Berufung der Beklagten werden das Teilurteil des Arbeitsgerichts Dortmund vom 07.06.2011 und auf die Berufung des Klägers das Schlussurteil des Arbeitsgerichts Dortmund vom 01.09.2011 - 3 Ca 5263/09 - teilweise abgeändert und insgesamt wie folgt neu gefasst:

1. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die außerordentliche Kündigung vom 17.10.2009 nicht aufgelöst worden ist.

2. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 1.931,88 € brutto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszins seit dem 03.11.2009 zu zahlen.

3. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 2.750,00 € brutto abzüglich 1.281,90 € netto Arbeitslosengeld nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszins seit dem 01.11.2009 zu zahlen.

4. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

5. Die Widerklage wird abgewiesen.

6. Die weitergehenden Berufungen der Beklagten und des Klägers werden zurückgewiesen.

7. Von den Kosten des ersten Rechtszuges tragen die Beklagte 43,51 % und der Kläger 56,49 %. Die Kosten des Berufungsverfahrens trägen die Beklagte zu 81,74 % und der Kläger zu 18,26 %.

8. Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen fristlosen sowie hilfsweise fristgemäßen Kündigung, einen Weiterbeschäftigungsanspruch, Lohn für den Monat Oktober 2009, einen Anspruch auf Erteilung eines Zwischenzeugnisses, Annahmeverzugslohnansprüche für die Zeit von November 2009 bis April 2011 sowie über Schadensersatzansprüche der Beklagten.

Der am 02.11.1974 geborene, verheiratete und gegenüber zwei Kindern unterhaltspflichtige Kläger ist seit dem 16.07.2007 bei der Beklagten, einem Arbeitnehmerüberlassungsunternehmen, zu einem Bruttomonatsgehalt von zuletzt 2.750,- € beschäftigt. Von der Beklagten wurde er an die Firma I1 F1 GmbH & Co. KG, A1straße 12, 12345 F1 ausgeliehen und in deren Lebensmittelmarkt als Teamleiter eingesetzt.

Am Abend des 02.10.2009 fertigten einige Mitarbeiter des Marktes, u. a. der Kläger, die Abrechnung. Nachdem das Geld gegen 21:10 Uhr gezählt worden war, wurde es in eine spezielle Geldtasche gepackt. Die Geldtasche, in der sich 38.300,- € befanden, wurde sodann um 21:13 Uhr / 21:14 Uhr von der Marktleiterin in den Tresor gelegt. Ob sich in einer Schublade des Tresors weitere 700,- € befanden, ist zwischen den Parteien streitig. Die Tresortür wurde anschließend nicht sofort verschlossen, sondern war über einen Zeitraum von 13 Minuten weit geöffnet, bevor sie um 21:26 Uhr von einem Auszubildenden verschlossen wurde.

Am Montag den 05.10.2009 sollte das Geld um 09.45 Uhr von der Fa. S1 abgeholt werden. Dabei wurde festgestellt, dass der Gesamtbetrag von 39.000,- € aus dem Tresor verschwunden war.

Nachdem der Verlust des Geldes festgestellt worden war, sichteten die Marktleiterin, der Kläger sowie drei weitere Mitarbeiter zunächst die Aufzeichnungen der installierten Videoüberwachungsanlage, bevor sie gegen 12:00 Uhr den Verlust des Geldes meldeten.

Mit Schreiben vom 13.10.2009 teilte die Beklagte dem Kläger mit, man hege den äußerst dringenden Verdacht, dass er am Freitag, den 02.10.2009 oder Sam...

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