Entscheidungsstichwort (Thema)

Anmerkungen des Arbeitgebers auf zurückgesandtem Lebenslauf. Entschädigung von 3000,00 Euro

 

Leitsatz (amtlich)

Das Berufungsgericht hat einer abgelehnten Bewerberin um eine Stelle als "Buchhalter/-in" gemäß § 15 Abs. 2 AGG eine Entschädigung von 3.000,00 € zugesprochen:

Auf dem zurückgesandten Lebenslauf der Klägerin hatte der Arbeitgeber neben der Textzeile "Verheiratet, ein Kind" handschriftlich vermerkt "7 Jahre alt!" und die sich dann ergebende Wortfolge "ein Kind, 7 Jahre alt!" durchgängig unterstrichen. In dem darin liegenden Abstellen auf das Problem der Vereinbarkeit von Kinderbetreuung und Berufstätigkeit hat die Kammer eine nicht gerechtfertigte mittelbare Diskriminierung wegen des weiblichen Geschlechts gesehen (§ 3 Abs.2, § 1 AGG).

Die durch den Vermerk des Arbeitgebers gemäß § 22 AGG begründete Vermutung einer (mittelbaren) Benachteiligung der Klägerin wegen ihres Geschlechts hat der Arbeitgeber nicht widerlegt, insbesondere nicht durch den Hinweis, dass eine junge Frau ohne Kind und mit besserer Qualifikation eingestellt worden sei.

Die Frage, ob die Klägerin ggf. einen höheren Entschädigungsbetrag beanspruchen konnte, stellte sich aus Gründen des § 61 b Abs. 1 ArbGG nicht. Innerhalb der dreimonatigen Klagefrist des § 61 b Abs. 1 ArbGG hatte die Klägerin (lediglich) 3.000,00 € eingeklagt. Die Klageerweiterung auf 6.081,00 € erfolgte erst Monate nach Ablauf der Klagefrist.

Wegen grundsätzlicher Bedeutung hat die Kammer die Revision zum Bundesarbeitsgericht zugelassen (§ 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG).

 

Normenkette

AGG §§ 15, 7, 3, 1, 3 Abs. 1 S. 1, Abs. 2, § 15 Abs. 2; ArbGG § 61b Abs. 1

 

Verfahrensgang

ArbG Siegen (Entscheidung vom 22.01.2013; Aktenzeichen 1 Ca 907/12)

 

Tenor

Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Arbeitsgerichts Siegen vom 22.01.2013 - 1 Ca 907/12 - teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:

Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 3.000,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 21.06.2012 zu zahlen.

Die weitergehende Klage wird abgewiesen.

Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.

Der Kläger und die Beklagte tragen jeweils die Hälfte der Kosten des Rechtsstreits.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Klägerin nimmt die Beklagte auf eine Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG in Anspruch.

Die Klägerin ist 1974 geboren. Sie ist verheiratet und hat ein Kind. Sie verfügt über einen Abschluss als Verwaltungs- und Bürokauffrau. Der Abschluss ist von der IHK K1 am 09.06.1998 als Berufsausbildung zur Bürokauffrau anerkannt worden. Wegen weiterer Einzelheiten zur Person und zum beruflichen Werdegang der Klägerin wird auf den in Kopie vorgelegten Lebenslauf Bezug genommen (Bl. 91, 92 GA).

Die Beklagte betreibt einen lokalen Radiosender. Per Zeitungsanzeige vom 14.04.2012 suchte die Beklagte eine(n) "Buchhalter/-in" mit abgeschlossener kaufmännischer Lehre. Auf die Kopie der Anzeige wird Bezug genommen (Bl. 39 GA). Die Klägerin bewarb sich mit Anschreiben vom 14.04.2012 (Bl. 7 GA). Beigefügt war der bereits oben genannte Lebenslauf (Bl. 91, 92 GA). Mit Schreiben vom 02.05.2012 erteilte die Beklagte eine Absage und teilte mit, "dass wir von Ihrer Bewerbung keinen Gebrauch machen können, da wir uns für einen anderen Bewerber entschieden haben" (Bl. 8 GA). Beigefügt waren "zu unserer Entlastung" die Bewerbungsunterlagen. Auf dem zurückgesandten Lebenslauf fand die Klägerin neben der Textzeile "Verheiratet, ein Kind" den bei der Beklagten handschriftlich angebrachten Vermerk vor: "7 Jahre alt!", die so entstehende Wortfolge "ein Kind, 7 Jahre alt!" ist durchgängig unterstrichen worden (Kopie Bl. 38 GA).

Mit Schreiben vom 06.06.2012 machte die Klägerin gegenüber der Beklagten eine Entschädigung wegen Verstoßes gegen das AGG geltend. Die Beklagte antwortete unter dem 21.06.2012 ablehnend. Die Nichtberücksichtigung der Klägerin habe nichts mit dem Geschlecht, dem Familienstand oder der Unterhaltsberechtigung [sic] zu tun, es seien ausschließlich die Qualifikationen gewesen, die zur Einstellung einer Mitbewerberin geführt hätten.

Die Klage auf Zahlung einer Entschädigung von 3.000,00 € ist am 23.07.2012 bei dem Arbeitsgericht eingegangen und der Beklagten am 01.08.2012 zugestellt worden. Der Antrag der Klageschrift lautet: "... die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 3.000,00 € nebst 5 Prozentpunkte Zinsen über dem Basiszins seit dem 21.06.2012 zu zahlen". In der Klagebegründung führt die Klägerin aus, ihr stehe eine angemessene Entschädigung zu; sie mache "gegenwärtig einen Anspruch von insgesamt 3.000,00 € geltend" (Bl. 2 GA).

Die Beklagte gibt an, sie habe Frau W1 eingestellt, eine junge Frau, die das Abitur habe, Ausbildungen zur Bankkauffrau und zur Steuerfachangestellten absolviert habe, zuletzt in einer größeren namhaften Steuerberater- und Wirtschaftsprüfungsgesellschaft als Steuerfachangestellte gearbeitet habe und seit mehreren Monaten an einer Weiterbildungsmaßnahme zur Bilanzbuchhalterin teilnehme.

Im September ...

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