Entscheidungsstichwort (Thema)

Berücksichtigung des schutzwürdigen Vertrauens der Partei bei Abänderungsentscheidung. Kein Einsatz von 10% der Kündigungsabfindung bei vorrangiger Pfändung oder Abtretung

 

Leitsatz (amtlich)

1. Aus Gründen des Vertrauensschutzes darf das Gericht die ihm bekannten und für seine Entscheidung maßgebenden Angaben der Partei zu ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen nicht nachträglich abweichend bewerten. Diese Grundsätze, die zur nachträglichen Ratenzahlungsanordnung entwickelt worden sind, lassen sich auch auf die Fallgestaltungen übertragen, bei denen das Gericht bei der PKH-Bewilligung der PKH-Partei versehentlich oder rechtsirrig nicht aufgegeben hat, zum Bestreiten der Verfahrenskosten gemäß § 115 Abs. 2 ZPO einen Einmalbetrag aus dem Vermögen einzusetzen, soweit es das sog. Schonvermögen übersteigt (hier: 10% der Kündigungsabfindung).

2. Wenn das gesetzliche Schonvermögen durch die Abfindung überschritten wird, hat der PKH-Empfänger im Kosteninteresse grundsätzlich mit einem Betrag in Höhe von 10% des Nennwertes einer Kündigungsabfindung (die Steuern ermäßigen den einzusetzenden Betrag nicht) für die entstandenen Kosten einzustehen. Allerdings muß die (restliche) Abfindung dem Arbeitnehmer auch tatsächlich zufließen. Soweit Abtretungen und Pfändungen den Ansprüchen der Landeskasse zeitlich vorgehen, kann der Einmalbetrag in Höhe von 10% des Nennwertes der Abfindung nicht realisiert werden.

 

Normenkette

ZPO §115; BSHG § 88 Abs. 2 Ziff. 8 Hs. 2, Abs. 3; RPflG § 20 Nr. 4 Buchst. c; ZPO § 120 Abs. 4 S. 1 Hs. 1, § 124 Nr. 3 Hs. 1

 

Verfahrensgang

ArbG Bocholt (Beschluss vom 28.04.2003; Aktenzeichen 2 Ca 2134/02)

 

Tenor

Auf die sofortige Beschwerde wird der PKH-Abänderungsbeschluß des Arbeitsgerichts /Gerichtstag Coesfeld vom 28.04.2003 – 2 Ca 2134/02 – aufgehoben.

 

Tatbestand

I. hat im Kammertermin vom 07.02.2003 für eine Kündigungsschutzklage um ratenfreie Prozeßkostenhilfe sowie um Beiordnung von M1xx aus B1xxx nachgesucht. Nachdem vom Vorsitzenden die Nachreichung des amtlichen Vordrucks bis zum 28.02.2003 nachgelassen worden war, haben die Parteien in diesem Termin einen Vergleich geschlossen, wonach das Arbeitsverhältnis aufgrund arbeitgeberseitiger, betriebsbedingter Kündigung mit dem 31.12.2002 beendet worden ist und an wegen des Verlustes des Arbeitsplatzes eine Abfindung gemäß §§ 9, 10 KSchG in Höhe von 11.500,00 EUR zahlt. Der Vorsitzende der 2. Kammer des Arbeitsgerichts /Gerichtstag Coesfeld hat nach Einreichung der Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse am 26.02.2003 folgenden PKH-Beschluß erlassen:

Dem Kläger wird für den 1. Rechtszug Prozeßkostenhilfe in vollem Umfang mit Wirkung vom 07.02.2003 bewilligt. Zur Wahrnehmung der Rechte in diesem Rechtszug wird ihm Rechtsanwalt M1xx, B1xxx, beigeordnet. Die Bewilligung erfolgt mit der Maßgabe, daß der Kläger keinen eigenen Beitrag zu den Kosten der Prozeßführung zu leisten braucht.

Nach Anhörung hat der Rechtspfleger beim Arbeitsgericht /Gerichtstag Coesfeld mit Beschluß vom 28.04.2003 – 2 Ca 2134/02 – die PKH-Bewilligung vom 26.02.2003 unter Bezugnahme auf § 120 Abs. 4 ZPO abgeändert und angeordnet, „daß aus Vermögen auf die Kosten der Prozeßführung einen einmaligen Betrag in Höhe von 1.150,00 EUR zu zahlen hat”.

Gegen den am 29.04.2003 zugestellten Beschluß hat mit vom 14.05.2003, bei dem Arbeitsgericht am 16.05.2003 eingegangen, sofortige Beschwerde mit der Begründung eingelegt, habe von der Abfindung keine einzigen Euro gesehen. Wie aus dem eingereichten Schreiben der Prozeßbevollmächtigten vom 07.04.2003 zu ersehen sei, habe mitteilen lassen, habe aufgrund einer vorliegenden Abtretungserklärung den sich aus der Abrechnung der Abfindung ergebenden Nettobetrag am 19.02.2003 an die Sparkasse Herford überwiesen.

 

Entscheidungsgründe

II. Die nach § 11 RPflG i.V.m. §§ 46 Abs. 2 Satz 3 ArbGG, 127 Abs. 2, 222 Abs. 2 ZPO zulässige, form- und fristgerecht eingelegte sofortige Beschwerde ist begründet, denn es liegen weder die Voraussetzung für eine Abänderungsentscheidung nach § 120 Abs. 4 Satz 1 Hs. 1 ZPO noch für eine Aufhebungsentscheidung nach § 124 Nr. 3 ZPO vor.

1. Nach § 120 Abs. 4 Satz 1 Hs. 1 ZPO kann das Gericht die Entscheidung über die zu leistenden Zahlungen ändern, wenn sich die für die Prozeßkostenhilfe maßgebenden persönlichen oder wirtschaftlichen Verhältnisse wesentlich geändert haben. Nach § 124 Nr. 3 Hs. 1 ZPO kann das Gericht die PKH-Bewilligung aufheben, wenn die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse „von vornherein” nicht vorgelegen haben.

1.1. Hat die Partei richtige und vollständige Angaben zu ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen gemacht und hat das Prozeßgericht uneingeschränkt Prozeßkostenhilfe bewilligt, ist eine Abänderung oder Aufhebung von Amts wegen aufgrund einer geänderten Beurteilung der Sach- und Rechtslage (OLG Stuttgart v. 05.04.1984 – 15 WF 140/84, FamRZ 1984, 722 = Justiz 1984, 397; OLG Hamburg v. 15.11.1995 – 12 WF 146/95, FamRZ 1996,...

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