Entscheidungsstichwort (Thema)

Neuorganisation des Vorschulbereiches – Pflichtteilzeitarbeit – geschlechtsbedingte Diskriminierung

 

Leitsatz (amtlich)

1. Der Tatbestand der geschlechtsbedingten Benachteiligung beim Zugang zum Beruf im Sinne von § 611a Abs 1 BGB setzt eine Benachteiligungsabsicht nicht voraus.

2. Wird der gesamte Vorschulbereich in der Weise neu organisiert, daß die bisherigen (Schul-) Lehrerstellen in Sozialpädagogenstellen umgewandelt und nur noch als 3/4-Stellen ausgeschrieben werden, liegt hierin eine geschlechtsbedingte Diskriminierung. Denn es handelt sich traditionsgemäß um Frauenarbeitsplätze und zugleich um Zwangsteilzeit (und nicht um Förderung von Teilzeitarbeit), durch die die Grundrechtsposition aus Art 12 Abs 1 GG erheblich beeinträchtigt wird.

3. Zur Rechtfertigung der geschlechtsbedingten Diskriminierung reicht ein bloßer Sachgrund nicht aus. Vielmehr ist eine strenge Prüfung der Einigung, Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit der Regelung notwendig. Diesen Anforderungen genügt der öffentliche Arbeitgeber nicht dadurch, daß er auf die Öffnungszeiten der Vorschule in Anlehnung an die Öffnungszeiten der (öffentlichen) Kindergärten hinweist (wodurch sich die tägliche Unterrichtszeit auf 4 Stunden reduziert, das sind 20 Stunden Unterricht pro Woche), ohne jedoch zugleich ein schlüssiges vorschulpädagogisches Konzept vorzulegen.

 

Normenkette

GG Art. 12; BGB § 611a Abs. 1; GG Art. 3 Abs. 2

 

Verfahrensgang

ArbG Hamburg (Urteil vom 21.09.2000; Aktenzeichen 7 Ca 157/00)

 

Nachgehend

BAG (Urteil vom 18.02.2003; Aktenzeichen 9 AZR 272/01)

 

Tenor

Unter Zurückweisung der Berufung gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Hamburg vom 21. September 2000 – 7 Ca 157/00 – wird auf den Hilfsantrag die Beklagte verurteilt, die Klägerin als Sozialpädagogin mit einer durchschnittlichen regelmäßigen Wochenarbeitszeit von 38,5 Stunden zu beschäftigen.

Von den Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin 1/5, die Beklagte 4/5.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten darüber, ob die Klägerin von der Beklagten beanspruchen kann, mit der wöchentlichen Pflichtstundenzahl einer Schulpädagogin im Grundschulbereich und damit im Ergebnis auf einer Vollzeitstelle beschäftigt zu werden.

Die 1953 geborene Klägerin, die staatlich anerkannte Sozialpädagogin ist, ist von der… ab 9. Juli 1998 unbefristet für den Vorschulbereich als nicht vollbeschäftigte Angestellte mit einer durchschnittlichen regelmäßigen wöchentlichen Pflichtstundenzahl von 21 Stunden eingestellt worden. In § 4 Arbeitsvertrag vom 16. September 1998 heißt es:

„Die Vergütung bestimmt sich nach der Vergütungsordnung (Anlage 1a zum BAT). Für den Einsatz als Lehrerin gelten abweichend hiervon die Richtlinien über die Vergütung der im Angestelltenverhältnis beschäftigten Lehrkräfte (Lehrkräfte-Richtlinien) vom 31.10.1995 in der jeweils geltenden Fassung. Die Angestellte ist danach in Vergütungsgruppe Vb eingruppiert.”

In § 2 Arbeitsvertrag wird auf den Bundes-Angestelltentarifvertrag (BAT) und die diesen ergänzenden, ändernden oder ersetzenden Tarifverträge Bezug genommen. Wegen des weiteren Vertragsinhalts wird auf Bl. 8-9 d. A. verwiesen. Der unbefristeten Einstellung der Klägerin zum 9. Juli 1998 war eine zeitbefristete Einstellung für den Zeitraum vom 7. August 1997 bis zum 8. Juli 1998 vorausgegangen (Bl. 6-7 d. A.).

Die Klägerin war zunächst in der Vorschule an der Grundschule … in … als Leiterin einer Vorschulklasse tätig. Heute leitet sie eine Vorschulklasse an der Schule … in Hamburg-…

In Vorschulklassen eingesetzte Sozialpädagoginnen (ggf. auch Sozialpädagogen) werden von der Beklagten spätestens seit dem Schuljahr 1998/99 generell nur noch mit 3/4 der regelmäßigen wöchentlichen Pflichtstundenzahl vollbeschäftigter Lehrkräfte im Grundschulbereich eingestellt, die bei einer tariflichen Wochenarbeitszeit von 38,5 Stunden wöchentlich 28 Pflichtstunden als Unterrichtsstunden abzuleisten haben. Die derzeitige konzeptionelle und organisatorische Strukturierung der Vorschulklassen in Hamburg ist im Zusammenhang mit der Verwirklichung des Rechtsanspruchs auf einen Kinderbetreuungsplatz in Hamburg zu sehen, mithin im Zusammenhang mit dem Hamburgischen Gesetz zum Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz (KgPG) vom 2. Januar 1996 (GVBl. 1996 Nr. 1 S. 2) und dem SGB VIII. Nach § 24 Satz 1 SGB VIII kann der Anspruch auf einen Kindergartenplatz auch in Einrichtungen erfüllt werden kann, in denen Kinder durch pädagogische Fachkräfte in zeitlichem Umfang von jeweils vier Stunden an fünf Wochentagen gemeinsam betreut, erzogen und gebildet werden. In Art. 1 KgPG heißt es in § 1 (Inhalt und Umfang des Rechtsanspruchs) auszugsweise:

„(1) Kindergarten im Sinne von § 24 Satz 1 des Achten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VIII) in der Fassung vom 3. Mai 1993 (…), zuletzt geändert am 15. Dezember 1995 (…), ist jede Einrichtung, in der Kinder vom vollendeten dritten Lebensjahr an bis zum Schuleintritt durch pädagogische Fachkräfte im zeitlichen Umfang von vier Stunden...

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