Entscheidungsstichwort (Thema)

Rechtsmissbräuchliche Entschädigungsklage eines Juristen wegen Altersbenachteiligung bei der Stellenbewerbung

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Mit der Note “befriedigend„ bestandene Staatsexamina sind für eine ausgeschriebene Stelle schon objektiv nicht geeignet, wenn damit das Anforderungsmerkmal “erstklassige juristische Qualifikation„ erfüllt werden soll. Eine erstklassige juristische Qualifikation wird nach der Verkehrsanschauung üblicherweise mit mindestens einem Prädikatsexamen verbunden.

2. Erfüllt ein Bewerber ein sachlich gerechtfertigtes Anforderungsmerkmal, das mit dem benachteiligenden Merkmal nicht in Zusammenhang steht, offensichtlich nicht, ist von der alleinigen Kausalität dieses Gesichtspunkts für die abschlägige Auswahlentscheidung auszugehen.

3. Angesichts eines nicht gerade günstigen Arbeitsmarktes für Juristinnen und Juristen mit nur durchschnittlichen Examensnoten ist grundsätzlich davon auszugehen, dass ein ernsthafter Bewerber alles tun wird, um in seiner Bewerbung ein positives Bild von seiner Person, seinen auf die ausgeschriebene Stelle bezogenen Fähigkeiten und seinem beruflichen Werdegang abzugeben, und alles unterlässt, was ein negatives oder auch nur bedenkliches Licht auf die Bewerbung werfen könnte.

4. Auch wenn allein eine Vielzahl von Entschädigungsklagen kein Indiz für einen Rechtsmissbrauch darstellt, stellt sich dies anders dar, wenn sich jemand ausschließlich auf Stellen bewirbt, die unter Verstoß gegen § 11 AGG ausgeschrieben worden sind.

 

Normenkette

AGG §§ 11, 15 Abs. 2 S. 1; BGB § 242

 

Verfahrensgang

ArbG Hamburg (Entscheidung vom 06.06.2013; Aktenzeichen 29 Ca 606/12)

 

Nachgehend

BAG (Urteil vom 19.05.2016; Aktenzeichen 8 AZR 470/14)

 

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Hamburg vom 6.6.2013 - 29 Ca 606/12 - wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens hat der Kläger zu tragen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über Entschädigungsansprüche des Klägers nach dem AGG.

Die Beklagten sind eine Partnerschaft von Rechtsanwälten und deren Partner. Sie sind auf das öffentliche Wirtschaftsrecht, das Bau- und Immobilienrecht, PPP-Projekte sowie das Vergaberecht spezialisiert.

In der Neuen Juristischen Wochenschrift 2012, Heft 46, vom 08.11.2012 erschien eine Stellenanzeige der Beklagten (Anlage K 1, Bl. 5 d. A.), in der es heißt:

"Zur Verstärkung unseres Teams suchen wir einen Rechtsanwalt (m/w) mit 0 - 2 Jahren Berufserfahrung für die Bereiche

...

Wir bieten Ihnen erstklassige Arbeitsbedingungen in einem professionellen Umfeld und eine langfristige Perspektive in einem jungen und dynamischen Team. ...

Wir erwarten von Ihnen Persönlichkeit, Teamgeist, Interesse an wirtschaftlichen Zusammenhängen und eine erstklassische juristische Qualifikation. ..."

Der 1953 geborene Kläger ist Einzelanwalt in R.. Seine Tätigkeitsschwerpunkte liegen ausweislich seines Internetauftritts (Anlage B 3, Bl. 44 d. A.) in den Bereichen Arbeitsrecht, Arztrecht, Arzthaftungsrecht, Medizinrecht, Erbrecht, Familienrecht, Forderungsbeitreibung, Mietrecht, Strafrecht und Zivilrecht. Die erste juristische Staatsprüfung absolvierte der Kläger 1979 in Ba-W mit der Note befriedigend (7 Punkte) und die zweite juristische Staatsprüfung 1983 ebenfalls in Ba-W mit der Note befriedigend (7 Punkte). Damit befand sich der Kläger im oberen Drittel oder Fünftel der Prüfungsteilnehmer. Der Kläger ist promoviert.

Der Kläger bewarb sich mit Schreiben vom 09.11.2012 (Anlage K 2, Bl. 6 d. A.) unter Beifügung von Bewerbungsunterlagen bei den Beklagten auf die ausgeschriebene Stelle. Mit Schreiben vom 19.11.2012 (Anlage K 3, Bl. 7 d. A.) teilten die Beklagten ihm mit, seine Bewerbung zeige viele gute Qualifikationen, könne aber nicht berücksichtigt werden.

Mit Schreiben vom 26.11.2012 (Anlage K 4, Bl. 8f. d. A.) rügte der Kläger seine Benachteiligung wegen seines Alters und machte eine angemessene Entschädigung in Höhe von € 10.000,00 und Schadensersatz in Höhe von € 50.000,00 sowie die Erstattung anwaltlicher Gebühren und Auslagen in Höhe von € 1.761,08 einschließlich Mehrwertsteuer geltend.

Mit Schreiben vom 06.12.2012 (Anlage K 5, Bl. 10f. d. A.) wiesen die Beklagten die Ansprüche des Klägers zurück. Die ausgeschriebene Stelle besetzten die Beklagten nicht, weil sich ein Projekt verschob, im Rahmen dessen der neu einzustellende Rechtsanwalt tätig werden sollte.

Alle derzeit bei den Beklagten tätigen angestellten Rechtsanwälte haben jeweils beide juristischen Staatsexamina mit Abschlussnoten von jeweils mindestens 9 Punkten (voll befriedigend) bestanden.

Mit seiner den Beklagten am 19.12.2012 zugestellten Klage vom 11.12.2012 hat der Kläger von den Beklagten Auskunft über die tatsächlich vereinbarte und darüber hinausgehend mögliche vorgesehene Jahresvergütung für die ausgeschriebene Stelle sowie Entschädigung und Schadensersatz in Höhe der erteilten Auskunft nebst Zinsen begehrt. Der Kläger schätzte die beabsichtigte Jahresvergütung auf € 60....

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