Entscheidungsstichwort (Thema)

Eingriff in bestehende Besitzstände durch veränderte Regelungen zur Betriebsrentenanpassung in ablösender Betriebsvereinbarung. Zahlungsklage des Betriebsrentners bei unzureichenden Darlegungen der Arbeitgeberin zum inneren Zusammenhang des Wechsels der Rentenanpassung von der Tarifanpassung zur wirtschaftlichen Lage des Unternehmens mit den maßgeblichen Gründen

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Beruht die Ruhegeldordnung der Arbeitgeberin auf einer Betriebsvereinbarung und nicht auf einem Tarifvertrag, ändert eine tarifvertragliche Vereinbarung der Tarifvertragsparteien, wonach eine Änderung der Versorgungsregelung ihrer Zustimmung bedarf, nichts daran, dass die Versorgungsregelung zwischen den Betriebsparteien ausgehandelt wurde und die Rechtsqualität einer Betriebsvereinbarung hat. Wenn Tarifpartner eine tarifliche Versorgungsordnung schaffen wollen, können sie dies selbst durch Abschluss eines Versorgungstarifvertrags tun.

2. Regeln mehrere Betriebsvereinbarungen denselben Gegenstand, gilt das Ablösungsprinzip, wonach eine neue Betriebsvereinbarung eine ältere grundsätzlich auch dann ablöst, wenn die Neuregelung für den betroffenen Arbeitnehmer ungünstiger ist. Soweit in bestehende Besitzstände eingegriffen wird, sind die Grundsätze des Vertrauensschutzes und der Verhältnismäßigkeit zu beachten, weshalb Betriebsvereinbarungen, die Versorgungsansprüche aus einer früheren Betriebsvereinbarung einschränken, einer entsprechenden Rechtskontrolle unterliegen.

3. Eine Änderung der Anpassungsregelungen einer Versorgungsordnung dahingehend, dass von einer an der Inflationsrate und der Steigerung der Nettoeinkommen aktiver Beschäftigter orientierten Anpassungspflicht abgewichen wird und erstmals die wirtschaftliche Lage der Versorgungsschuldnerin bei der Anpassungsentscheidung berücksichtigt werden kann, bedarf solcher Gründe, die gerade diesen Eingriff tragen. Es muss ein innerer Zusammenhang zwischen der Regelung, die erstmals auch die Berücksichtigung der wirtschaftlichen Lage der Arbeitgeberin ermöglicht, und den Gründen für die Anpassung bestehen.

4. Ein innerer Zusammenhang zwischen der Regelung, die erstmals auch die Berücksichtigung der wirtschaftlichen Lage der Arbeitgeberin ermöglicht, und den Gründen für die Anpassung ist jedenfalls dann anzunehmen, wenn die Gründe für die Änderung der Anpassung auf der wirtschaftlichen Lage des Unternehmens i.S.d. § 16 Abs. 4 Satz 2 BetrAVG beruhen. Dazu hat die Arbeitgeberin darzulegen, dass die wirtschaftliche Situation es bei Abschluss der Betriebsvereinbarung geboten hat, bei der Anpassung der Betriebsrenten die wirtschaftliche Lage zu berücksichtigen.

 

Normenkette

BetrAVG § 16 Abs. 1, 4 S. 2; BetrVG § 77

 

Verfahrensgang

ArbG Hamburg (Entscheidung vom 14.10.2015; Aktenzeichen 20 Ca 117/15)

 

Nachgehend

BAG (Urteil vom 11.07.2017; Aktenzeichen 3 AZR 365/16)

 

Tenor

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Hamburg vom 14. Oktober 2015 - 20 Ca 117/15 - teilweise abgeändert und unter Ziffer 1 wie folgt neu gefasst:

Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger € 149,54 brutto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 27. Mai 2015 zu zahlen.

Die weitergehende Berufung der Beklagten wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten um die Höhe der Anpassung der dem Kläger von der Beklagten gewährten Betriebsrente.

Der am 1938 geborene Kläger stand bis zum 31. Dezember 2002 bei den Rechtsvorgängerinnen der Beklagten in einem Arbeitsverhältnis.

Am 14./16. Juni 2000 vereinbarten die damaligen Tarifvertragsparteien, die Arbeitgebervereinigung E. U.e.V. und die Gewerkschaften IGM sowie DAG, einen neuen Manteltarifvertrag (im Folgenden: MTV HW) für die Rechtsvorgängerin der Beklagten, die HW Aktiengesellschaft (im Folgenden: HW). In diesem ist unter II/D Nr. 5.3 geregelt, dass Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen, die direkt aus dem Arbeitsverhältnis mit der HW unter Bezug von Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung in den Ruhestand gehen, unter bestimmten Voraussetzungen Anspruch auf betriebliche Altersversorgung haben. Am Ende heißt es:

"Einzelheiten, insbesondere Anspruchsvoraussetzungen, Zeitpunkt des Übertritts in den (vorzeitigen) Ruhestand, Höhe der Beiträge und Leistungen u.ä. werden - ebenso wie die Behandlung besonderer Personengruppen und Härtefälle - durch Betriebsvereinbarung geregelt werden. Änderungen werden nur nach Zustimmung der Tarifpartner wirksam."

Am 26. September 2003 vereinbarten die im Konzern V. E. vertretenen Gewerkschaften IGB, V.D. und IGM die Bildung einer Tarifgemeinschaft und die Zusammenarbeit im Rahmen der Verhandlungen über ein Konzerntarifwerk. Die Verhandlungen der Tarifgemeinschaft führten am 20. November 2006 zum Zustandekommen eines Konzerntarifwerks, das von allen drei Gewerkschaften unterschrieben wurde. Nach Abschluss des Konzerntarifwerks wurden die regionalen Tarifverträg...

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