Entscheidungsstichwort (Thema)

Geltungsreichweite eines Sozialplans. Auslegung des normativen Teils eines Tarifvertrags

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Sozialpläne, denen nach § 112 Abs. 1 Satz 3 BetrVG die Wirkung einer Betriebsvereinbarung zukommt, sind "Betriebsvereinbarungen besonderer Art", deren normative Geltung räumlich und zeitlich grundsätzlich auf den Betrieb begrenzt, und dessen Belegschaft durch den die Betriebsvereinbarung abschließenden Betriebsrat repräsentiert ist. In Ausnahmefällen erstreckt sich die Geltung des Sozialplans auch auf Beschäftigte, die zum Zeitpunkt des Abschlusses des Sozialplans nicht mehr dem Betrieb angehören.

2. Die Auslegung des normativen Teils eines Tarifvertrags folgt den für die Auslegung von Gesetzen geltenden Regeln. Danach ist zunächst vom Tarifwortlaut auszugehen, wobei der maßgebliche Sinn der Erklärung zu erforschen ist, ohne am Buchstaben zu haften. Bei nicht eindeutigem Wortlaut ist der wirkliche Wille der Tarifvertragsparteien mit zu berücksichtigen, soweit er in den tariflichen Normen seinen Niederschlag gefunden hat. Abzustellen ist stets auf den tariflichen Gesamtzusammenhang, weil dieser Anhaltspunkte für den wirklichen Willen der Tarifvertragsparteien liefert und nur so Sinn und Zweck der Tarifnorm zutreffend ermittelt werden können.

 

Normenkette

BetrVG § 111 S. 3 Nr. 1, § 112 Abs. 1 S. 3; BGB § 613a Abs. 5-6; SGB III §§ 110, 111 Abs. 3; Sozialplan Präambel Abs. 3; Sozialplan § 1 Abs. 1-2, § 4 Nr. 1, § 5

 

Verfahrensgang

ArbG Hamburg (Entscheidung vom 28.05.2019; Aktenzeichen 21 Ca 31/19)

 

Tenor

Die Berufung der Beklagten und die Berufung des Klägers gegen das Schlussurteil des Arbeitsgerichts 28. Mai 2019 - 21 Ca 31/19 - werden zurückgewiesen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens haben die Beklagte zu 87/100 und der Kläger zu 13/100 zu tragen.

Die Revision wird für beide Parteien zugelassen; für den Kläger beschränkt auf die Abweisung des Klageantrags zu 10.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über eine Sozialplanabfindung, eine tarifliche zusätzliche Abfindung und Schadensersatz.

Der am 22. November XXXX geborene und verheiratete Kläger war seit dem 01. Juni 2001 bei Rechtsvorgängerinnen der Beklagten und sodann bei ihr zu einer monatlichen Vergütung von zuletzt 3.686,78 € brutto als Qualitätsprüfer beschäftigt (Arbeitsvertrag, Anlage K 1 - Bl. 23 d.A.). Auf das Arbeitsverhältnis fand kraft beiderseitiger Verbandsmitgliedschaft der Entgeltrahmentarifvertrag für die Metall- und Elektroindustrie Anwendung. Die Gehaltstabelle "Metall- und Elektroindustrie ERA-Monatsentgelte (in Euro) ab 01.04.2018" (Anlage K 5 - Bl. 118 d.A.) sah für die Tätigkeit des Klägers in der Entgeltgruppe 6 - Hauptstufe - ("6H") ein monatliches Grundentgelt von 3.367,00 € brutto vor.

Am 03. Juni 2016 schlossen der Betriebsrat und die Rechtsvorgängerin der Beklagten, die, die später aufgrund eines Verschmelzungsvertrages vom 25. August 2017 in der Beklagten aufging, einen Sozialplan. Darin ist geregelt (Anlage K 16 - Bl. 155 d.A.):

"Präambel

Insbesondere durch den Preisverfall auf dem Ölmarkt, durch die verringerte Nachfrage von Rohstoffen in China und dem vor allem durch asiatische Wettbewerber gestiegenen Kostendruck auf dem Wassermarkt befindet sich die Gesellschaft in einem schwierigen wirtschaftlichen Umfeld. Neben externen Faktoren wirken auch gruppeninterne Planungen auf die Gesellschaft ein. Weitere Personalanpassungen während der Laufzeit dieser Vereinbarung sind daher nicht ausgeschlossen und werden von der Gesellschaft sogar als wahrscheinlich angesehen.

...

§ 1

Geltungsbereich

1. Dieser Sozialplan gilt, zugleich auch als vorsorglicher Sozialplan, für alle Mitarbeiter der Gesellschaft i.S.d. § 5 BetrVG, die aus Anlass der unternehmerischen Planung und des daraus folgenden Personalabbaus ihren Arbeitsplatz verlieren werden, unabhängig davon, ob dem Ausspruch der Kündigung eine ggf. weitere Betriebsänderung im Sinne des § 111 BetrVG zugrunde liegt oder nicht und welches Ausmaß die Maßnahme hat. Auf den Interessenausgleich der Parteien vom heutigen Tag wird insoweit Bezug genommen. Im Fall zukünftiger Maßnahmen während der Laufzeit gilt dieser Sozialplan unabhängig davon abschließend, ob für die konkrete Personalabbaumaßnahme eigens ein Interessenausgleich abgeschlossen wird oder nicht.

...

§ 2

Abfindung

1. Mitarbeiter, die aufgrund einer betriebsbedingten Kündigung und/oder einvernehmlichen Aufhebung auf Veranlassung der Gesellschaft zur Vermeidung einer betriebsbedingten Kündigung ausscheiden, erhalten für den Verlust des sozialen Besitzstands und zur Milderung wirtschaftlicher Nachteile eine Abfindung. Die jeweilige Abfindung berechnet sich nachfolgender Formel:

Bruttomonatsgehalt x Betriebszugehörigkeit x Lebensalter

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2. Das Bruttomonatsentgelt ist das zum Zeitpunkt des rechtlichen Ausscheidens zuletzt gezahlte Bruttomonatsentgelt (Grundentgelt, Leistungsentgelt, Ausgleichszulagen, Schmutzzulagen) ohne Zuwendungen, Zuschläge, geldwerte Vorteil...

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