Leitsatz (amtlich)

1. § 19 Ziff. 1 Abs. 5 des Rahmentarifvertrags für die Arbeiter der deutschen Seehafenbetriebe verstößt gegen Art. 3 Abs. 1 GG.

2. Auslegung eines Sozialplans

Ist Voraussetzung für einen Abfindungsanspruch die Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch betriebsbedingte Kündigung, so ist diese Voraussetzung auch dann erfüllt, wenn das Arbeitsverhältnis aufgrund einer (nicht angegriffenen und nicht unter Vorbehalt angenommenen) betriebsbedingten Änderungskündigung endet.

 

Tatbestand

Der nachfolgende Tatbestand enthält in Anwendung der §§ 543 Abs. 2 ZPO, 64 Abs. 6 ArbGG eine gedrängte Darstellung des Sach- und Streitstandes auf der Grundlage der mündlichen Vorträge der Parteien; von der Möglichkeit der Bezugnahme auf das angefochtene Urteil sowie auf Schriftsätze, Protokolle und andere Unterlagen wird Gebrauch gemacht.

Die Parteien streiten über den Zeitpunkt der Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses aufgrund einer von der Beklagten ausgesprochenen betriebsbedingten Änderungskündigung sowie über die Verpflichtung der Beklagten zur Zahlung einer Sozialplanabfindung.

Hinsichtlich des vom Arbeitsgericht als unstreitig zugrundegelegten Sachverhalts sowie des streitigen Sachvortrages und der Anträge der Parteien im ersten Rechtszug wird im übrigen auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils (Bl. 102 – 105 d.A.) Bezug genommen.

Das Arbeitsgericht hat der Klage vollen Umfangs stattgegeben und festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien aufgrund der arbeitgeberseitigen Änderungskündigung vom 29. März 1994 nicht mit dem 30. April, sondern erst mit dem 31. Dezember 1994 beendet worden sei; es hat außerdem die Beklagte zur Zahlung einer Abfindung in Höhe von DM 78.300,– aus dem Sozialplan vom 16. Februar 1994 verurteilt. Es hat seine Entscheidung im wesentlichen wie folgt begründet:

Die Kündigung habe nicht entsprechend § 19 Ziff. 1 Abs. 5 des Rahmentarifvertrages für die Hafenarbeiter der Deutschen Seehafenbetriebe (RTV) mit einer Frist von einem Monat zum Monatsende, sondern erst nach Ablauf der gesetzlichen Kündigungsfrist von 7 Monaten zum Monatsende Wirkung entfaltet. Die Regelung in § 19 Ziff. 1 Abs. 5 RTV, derzufolge bei Anwendung eines Sozialplans für alle gewerblichen Arbeitnehmer eine Kündigungsfrist von einem Monat zum Monatsende gelte verstoße gegen Art. 3 Abs. 1 GG. Zwar seien die gesetzlichen Kündigungsfristen tarifdispositiv. Die Tarifvertragsparteien seien aber an da höherrangige Verfassungsrecht gebunden. Die tarifvertragliche Regelung verstoße in zweifacher Hinsicht gegen den Gleichheitssatz, nämlich sowohl in Verhältnis längerbeschäftigter gewerblicher Arbeitnehmer im Verhältnis zu den Angestellten, deren Kündigungsfristen bei Anwendung eines Sozialplans nicht verkürzt würden, als auch im Verhältnis von unter einen Sozialplan fallenden gewerblichen Arbeitnehmern im Verhältnis zu solchen, die verhaltens-, personen- oder anderen betriebsbedingten Gründen entlassen würden. Zwischen den jeweiligen Gruppen bestünden keine sachlichen, die Ungleichbehandlung rechtfertigenden Unterschiede. Das Bundesverfassungsgericht habe in seinem Beschluß vom 30. Mai 1990 (AP Nr. 28 zu § 622 BGB) das Argument der Verteuerung von Kündigungen und Sozialplänen bei Anwendung längerer Kündigungsfristen für unerheblich erachtet. Bei einer nur pauschalen Differenzierung zwischen Arbeitern und Angestellten fehle es an sachlichen Gründen. Durch § 19 Abs. 1 Ziff. 5 RTV werde auch nicht etwa nur eine verhältnismäßig kleine Gruppe benachteiligt; auch sei der Gleichheitsverstoß sehr intensiv. Die Kündigungsfristen für Angestellte beliefen sich auch bei Anwendung eines Sozialplans auf 7 Monate zum Ende eines Kalendermonats (§ 622 Abs. 2 BGB) bzw. nach dem RTV auf bis zu 9 Monate zum Ende eines Kalenderhalbjahres.

Auch innerhalb der Gruppe der Arbeiter werde in mehrfacher Hinsicht ohne sachliche Gründe differenziert. Während Arbeiter, deren Beschäftigungsverhältnis sich nach dem RTV richte, bei Sozialplanabfindungen die kurze Kündigungsfrist hätten, seien bei solchen, auf die der RTV keine Anwenden finde, ggf. die verlängerten Kündigungsfristen des § 622 Abs. 2 BGB zu beachten, ohne daß im RTV sichergestellt sei, daß die Verkürzung der Kündigungsfristen durch andere Vorteile, etwa eine Erhöhung der Abfindungen, ausgeglichen werde. Eine grundgesetzwidrige Ungleichbehandlung liege auch im Verhältnis der Arbeiter, die mit einer Sozialplanabfindung ausschieden, zu solchen vor, die Verhaltens- oder personenbedingt oder aus anderen betrieblichen Gründen entlassen würden. Der RTV treffe enthalte keine Regelung, das die Sozialplanabfindungen die Verkürzung der Kündigungsfristen kompensieren müßten.

Der Hinweis der Beklagten, daß bei Kündigungen im Rahmen eines Sozialplanes regelmäßig Kosteneinsparungen zur wirtschaftlich vertretbaren Aufrechterhaltung des Betriebes erforderlich seien, überzeuge nicht. In welchem Umfang Sozialplankosten für die Aufrechterhaltung des Betriebes wirtschaftlich vertretbar seien, sei Gegenstand der I...

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