Entscheidungsstichwort (Thema)

Krankheitsbedingte Kündigung. BEM

 

Leitsatz (amtlich)

1. Eine Kündigung ist als letztes Mittel nur zulässig, wenn der Arbeitgeber alle zumutbaren Möglichkeiten zu ihrer Vermeidung ausgeschöpft hat. Bei einer krankheitsbedingten Kündigung hat der Arbeitgeber alle gleichwertigen, leidensgerechten Arbeitsplätze, auf denen der betroffene Arbeitnehmer unter Wahrnehmung des Direktionsrechtes einsetzbar wäre, in Betracht zu ziehen und ggf. „freizumachen” (BAG vom 12.07.2007, AP Nr. 28 zu § 1 KSchG 1969 Personenbedingte Kündigung).

2. Hat der Arbeitgeber kein Betriebliches Eingliederungsmanagement (BEM) durchgeführt, hat der Arbeitgeber substantiiert zu einem nicht mehr möglichen Einsatz des Arbeitnehmers auf dem bisher innegehabten Arbeitsplatz einerseits vorzutragen sowie andererseits, warum der Arbeitnehmer nicht auf einem anderen Arbeitsplatz bei geänderter Tätigkeit eingesetzt werden könnte (BAG vom 12.07.2007, a. a. O.). Dasselbe gilt, wenn der Arbeitgeber zwar ein BEM durchgeführt habe, im BEM aber nicht geprüft wurde, ob eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers auf einem anderen, ggf. „freizumachenden” Arbeitsplatz möglich ist.

 

Normenkette

KSchG § 1 Abs. 2; SGB IX § 84 Abs. 2

 

Verfahrensgang

ArbG Krefeld (Urteil vom 01.04.2008; Aktenzeichen 4 Ca 2920/07)

 

Nachgehend

BAG (Urteil vom 10.12.2009; Aktenzeichen 2 AZR 198/09)

 

Tenor

Das Urteil des Arbeitsgerichts Krefeld vom 01.04.2008 wird teilweise abgeändert:

Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung vom 30.11.2007, zugegangen am selben Tag, nicht aufgelöst worden ist.

Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Die Revision wird für die Beklagte zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über eine krankheitsbedingte Kündigung.

Der Kläger (geboren 15.03.1963, verheiratet, drei Kinder) hat eine Berufsausbildung zum CNC-Fräser absolviert und wurde zum Lagerfachwirt umgeschult. Er wurde von der Beklagten, in deren Betrieb der Metallverarbeitung zurzeit 65 Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen beschäftigt sind, zum 01.06.1997 als Lagerist eingestellt. Der Kläger ist schwerbehindert mit einem Grad der Behinderung von 80.

Seit Mitte 2003 war der Kläger im sog. Drahtlager der Beklagten eingesetzt. Der dortige Arbeitsplatz des Klägers besteht im Wesentlichen aus den folgenden Arbeitsaufgaben: Nachdem die eingehenden Waren mitsamt Lieferschein angeliefert worden sind, werden sie den entsprechenden Bestellungen bzw. Abrufen über einen PC zugeordnet und über ein Wareneingangsprogramm und eine dort befindliche Maske eingebucht. Sodann werden Warenproben dem Qualitätsmanagement vorgelegt. Nach Freigabe durch dieses wird die Ware mittels eines Gabelstaplers eingelagert. Bei der Warenausgabe werden die zur Fertigung benötigten Materialien in die Fertigungsabteilungen verbracht, wobei die Buchung ebenfalls über den PC erfolgt.

Am 09.11.2004 erlitt der Kläger bei seiner Tätigkeit einen Arbeitsunfall. Er brach sich das linke Sprunggelenk. Anschließend war er langfristig arbeitsunfähig krank.

Ab dem 03.05.2005 wurde bei der Beklagten mehrfach eine stufenweise Wiedereingliederung des Klägers versucht. Die erste Wiedereingliederungsmaßnahme brach der Kläger am 26.07.2005 ab. Am 04.10.2005 begann ein zweiter Wiedereingliederungsversuch. Dabei erledigte der Kläger zunächst leichte Tätigkeiten in der Montage, der Trennpress-Abteilung und im Kleinteilelager, die normalerweise von den dort beschäftigten Arbeitnehmern mit erledigt werden können. Ab dem 01.03.2006 wurde der Kläger wieder an seinem Arbeitsplatz im Drahtlager eingesetzt und war anschließend für dreieinhalb Wochen und ab dem 03.04.2006 erneut langfristig krankheitsbedingt nicht in der Lage, die dort anfallenden Arbeitsaufgaben auszuführen. Ein dritter Wiedereingliederungsversuch begann am 06.11.2006. Am 30.11.2006 stürzte der Kläger im Lager, so dass die Wiedereingliederungsmaßnahme nicht fortgesetzt werden konnte. Die vierte und letzte Wiedereingliederungsmaßnahme begann am 05.02.2007. Sie wurde am 04.04.2007 vom Kläger abgebrochen.

Mit Schreiben vom 12.04.2007 bat die Beklagte den Kläger, sich im Zuge des „Betrieblichen Eingliederungsmanagements” am 18.04.2007 bei ihr einzufinden. An dem Termin nahmen neben dem Kläger und der Personalleiterin der Beklagten ein Mitglied des Betriebsrats, zwei Vertreter der örtlichen Fürsorgestelle und ein Vertreter des Integrationsamtes teil. Die Teilnehmenden verständigten sich darauf, dass ein arbeitsmedizinisches Gutachten eingeholt wird. Auf die weiteren Einzelheiten einer von der Personalleiterin der Beklagten über den Termin gefertigten Aktennotiz wird Bezug genommen (Bl. 132 d. A.).

In einem zusätzlichen Termin am 16.05.2007, an dem der Kläger, sein Prozessbevollmächtigter, die Personalleiterin der Beklagten, ein Berufshelfer der Berufsgenossenschaft und der Vertreter des Integrationsamtes teilnahmen, wurde vereinbart, dass für die Dauer von vier Wochen auf Kosten der Berufsgenossenschaft ein neues Gabelstapler-Modell gemietet wird, um...

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