Entscheidungsstichwort (Thema)

Pflicht zur Erkennbarkeit eines Antrags als solchem auf Brückenteilzeit. Keine analoge Anwendung der Veränderungssperre auf andere Teilzeitansprüche. Zulässigkeit einer rückwirkenden Antragsstellung. Unbeachtlichkeit der Verspätung eines Antrags auf Brückenteilzeit. Dreistufige Prüfung entgegenstehender betrieblicher Interessen

 

Leitsatz (amtlich)

1. Bei einem Antrag gemäß § 9a TzBfG muss für den Erklärungsempfänger erkennbar sein, dass er sich auf diese und nicht auf eine andere Rechtsgrundlage stützt. Dabei ist ein Vertragsangebot, das sich gestaffelt auf unterschiedliche Rechtsgrundlagen stützt, zulässig.

2. Die Veränderungssperre des § 9a Abs. 5 Satz 1 TzBfG bezieht sich ausschließlich auf eine vorherige Verringerung der Arbeitszeit gemäß § 9a Abs. 1 TzBfG. Eine analoge Anwendung auf andere Teilzeitansprüche kommt nicht in Betracht.

 

Normenkette

BGB §§ 133, 145, 157, 311a; GewO § 106; TzBfG §§ 8, 9a; MTV BAT/AOK-Neu § 12; ZPO § 97 Abs. 1

 

Verfahrensgang

ArbG Düsseldorf (Entscheidung vom 30.06.2020; Aktenzeichen 5 Ca 1315/20)

 

Nachgehend

BAG (Urteil vom 07.09.2021; Aktenzeichen 9 AZR 595/20)

 

Tenor

  1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Düsseldorf vom 30.06.2020 - 5 Ca 1315/20 - wird zurückgewiesen.
  2. Die Kosten des Berufungsverfahrens werden der Beklagten auferlegt.
  3. Die Revision wird zugelassen.
 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die zeitlich begrenzte Verringerung der Arbeitszeit der Klägerin.

Die am 20.09.1968 geborene Klägerin ist Mutter eines zwischenzeitlich volljährigen Kindes und war seit dem 01.06.2007 bei der Beklagten, einer Krankenkasse mit mehreren hundert Mitarbeitern, als Tarifbeschäftigte zunächst in Vollzeit tätig. Das durchschnittliche Bruttomonatsgehalt der Klägerin für eine Vollzeitbeschäftigung betrug zuletzt 4.792,06 Euro. Gemäß § 2 des Arbeitsvertrags der Parteien vom 23.05.2007 bestimmte sich das Arbeitsverhältnis der Parteien nach dem Manteltarifvertrag für die Beschäftigten der Mitglieder der TGAOK (BAT/AOK-Neu) vom 07.08.2003 und den diesen ergänzenden oder ändernden Tarifverträgen. § 12 BAT/AOK-Neu enthielt zuletzt folgende, mit "Teilzeitbeschäftigung" überschriebene Bestimmung:

"(1) Mit Beschäftigten soll auf Antrag eine geringere als die vertraglich festgelegte Arbeitszeit vereinbart werden, wenn sie

a) mindestens ein Kind unter 18 Jahren oder

b) einen nach ärztlichem Gutachten pflegebedürftigen sonstigen Angehörigen tatsächlich betreuen oder pflegen und dringende dienstliche bzw. betriebliche Belange nicht entgegenstehen.

Die Teilzeitbeschäftigung nach Unterabsatz 1 ist auf Antrag auf bis zu fünf Jahre zu befristen. Sie kann verlängert werden; der Antrag ist spätestens sechs Monate vor Ablauf der vereinbarten Teilzeitbeschäftigung zu stellen.

(2) Beschäftigte, die in anderen als den in Absatz 1 genannten Fällen eine Teilzeitbeschäftigung vereinbaren wollen, können von ihrem Arbeitgeber verlangen, dass er mit ihnen die Möglichkeit einer Teilzeitbeschäftigung mit dem Ziel erörtert, zu einer entsprechenden Vereinbarung zu gelangen. Daneben findet das TzBfG Anwendung.

...;"

Mit Nachträgen zum Arbeitsvertrag vom 05.03.2012 und vom 29.12.2016 vereinbarten die Parteien für die Zeit vom 01.04.2012 bis zum 31.03.2017 und für die Zeit vom 01.04.2017 bis zum 31.03.2019 eine Verringerung der bisherigen regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit der Klägerin von 100 % gemäß § 9 BAT/AOK-Neu, d.h. 38,5 Stunden auf jeweils 90,91 % der regelmäßigen Arbeitszeit nach § 9 BAT/AOK-Neu, d.h. auf wöchentlich 35 Stunden. Mit einem weiteren Nachtrag vom 26.03.2019 vereinbarten die Parteien für die Zeit vom 01.04.2019 bis zum 31.03.2020 die Verringerung der wöchentlichen Arbeitszeit der Klägerin auf 85,71 % der Arbeitszeit nach § 9 BAT/AOK-Neu, d.h. auf wöchentlich 33 Stunden. Die Teilzeit wurde der Klägerin auf der Grundlage von § 12 Abs. 1 BAT/AOK-Neu jeweils zur Betreuung ihres in den genannten Zeiträumen noch minderjährigen Kindes gewährt.

Mit Schreiben vom 07.01.2020 wandte die Klägerin sich wie folgt an die Beklagte:

"Verlängerung meines Teilzeitvertrages

Sehr geehrter Herr T.,

mein befristeter Teilzeitvertrag über wöchentlich 33 Stunden läuft am 31.03.2020 aus. Ich möchte Sie bitten, eine weitere Reduzierung meiner wöchentlichen Arbeitszeit ab 01.04.2020 bis 31.03.2021 auf 33 Stunden zu genehmigen.

Mit freundlichen Grüßen

N. H."

Über dem maschinenschriftlich gedruckten Namen der Klägerin hatte diese nicht eigenhändig unterschrieben. Mit Schreiben vom 15.01.2020 lehnte die Beklagte diesen Antrag mit dem Hinweis ab, es liege keine Begründung ihres Teilzeitantrags i.S.d. § 12 Abs. 1 BAT/AOK-Neu vor. Mit eigenhändig von der Klägerin unterzeichnetem Schreiben vom 22.01.2020, der Beklagten am 24.01.2020 zugegangen, wandte die Klägerin sich wie folgt erneut an die Beklagte:

"Verlängerung meines Teilzeitvertrages

Sehr geehrte Frau I.,

hiermit beantrage ich erneut die Verlängerung meines Teilzeitvertrages ab 01.04.2020 bis 31.03.2021 mit wöchentlich 33 Stunden.

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