Entscheidungsstichwort (Thema)

Bedrohung der Familie des Vorgesetzten als fristloser Kündigungsgrund. Auswirkung fehlerhafter Angabe von Sozialdaten des Arbeitnehmers an Betriebsrat auf Wirksamkeit der Kündigung. Lügendetektor als unzulässiges Beweismittel. Androhen von Schlägen als fristloser Kündigungsgrund. Entbehrlichkeit der Abmahnung bei Androhung körperlicher Gewalt

 

Leitsatz (amtlich)

1. Die ernsthafte Bedrohung des Vorgesetzten und seiner Familie mit körperlicher Gewalt rechtfertigt eine fristlose Kündigung.

2. Gibt die Arbeitgeberin in einem solchem Fall aus Versehen in der Betriebsratsanhörung die Sozialdaten des Klägers unzutreffend an (ledig, keine Kinder anstelle zutreffend verheiratet, ein Kind) und waren dem Betriebsrat im Zeitpunkt der Einleitung der Anhörung die zutreffenden Sozialdaten bekannt, führt dies nicht zur Unwirksamkeit der Kündigung aufgrund fehlerhafter Betriebsratsanhörung.

3. Ein Lügendetektor (polygraphische Untersuchung mittels Kontrollfragentests) ist auch im arbeitsgerichtlichen Verfahren kein zulässiges, weil ungeeignetes Beweismittel.

 

Normenkette

BetrVG § 102; BGB § 626; ZPO § 286; KSchG § 4 S. 1; StGB § 241; ZPO § 97 Abs. 1

 

Verfahrensgang

ArbG Mönchengladbach (Entscheidung vom 12.05.2021; Aktenzeichen 6 Ca 468/20)

 

Nachgehend

BAG (Urteil vom 28.02.2023; Aktenzeichen 2 AZR 194/22)

 

Tenor

  1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Mönchengladbach vom 12.05.2021 - 6 Ca 468/20 - wird zurückgewiesen.
  2. Die Kosten des Rechtsstreits werden dem Kläger auferlegt.
  3. Die Revision wird zugelassen.
 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen und hilfsweise ordentlichen Kündigung sowie einer weiteren ordentlichen Kündigung und die Weiterbeschäftigung des Klägers.

Der am 30.10.1974 geborene, verheiratete und einem Kind unterhaltspflichtige Kläger war bei der Beklagten seit dem 25.05.1998 auf der Grundlage des Arbeitsvertrags vom 22.05.1998 bei der Beklagten als Busfahrer beschäftigt. Er verdiente zuletzt monatlich ca. 2.838,00 Euro brutto. Die Beklagte, welche regelmäßig mehr als zehn Arbeitnehmer in Vollzeit beschäftigte und bei der ein Betriebsrat gebildet war, bediente als Busunternehmen den Öffentlichen Personennahverkehr in Neuss. Sie führte die von ihr vereinnahmten Fahrgelder an die Stadtwerke Neuss ab.

Bei der Beklagten existierte eine Dienstanweisung 18/2011 vom 24.05.2011 zur Abrechnung und Einzahlung der Fahrgeldeinnahmen (im Folgenden DA 18/2011), für deren Inhalt auf Anlage B2 zur Klageerwiderung vom 24.09.2020 Bezug genommen wird. Die DA 18/2011 legte in Ziffer 1 fest, dass Einnahmen aus dem Fahrscheinverkauf bei Erreichen eines Wertes von 350,00 Euro, spätestens aber nach 3 Kalendertagen einzuzahlen waren. Zudem regelte die DA 18/2011 die Vorgaben zur Einzahlung von Fahrgeldern vor planmäßig dienstfreien Tagen, vor Urlaubsantritt und bei Krankheit.

Seit 2019 verlief das Arbeitsverhältnis nicht mehr zur Zufriedenheit beider Parteien. Unter dem 25.09.2019 übermittelte der Kläger der Beklagten ein Schreiben, das folgenden Inhalt hatte:

"Forderung !

1. Abfindung: 136 tausend 825 Euro in 2 Wochen bis 10. Oktober auf meinem Konto überweisen. Netto.

2. 18 Monate Lohnfortzahlung 2400 Euro netto jeden Monat auf meinem Konto überweisen.

3. Nach Ablauf dieser Zeit 18 Monate, Kündigung des Arbeitsverhältnis von ihrer Seite.

Die oben genannten Punkte sind nicht verhandelbar ..."

Auf diesen Vorschlag ging die Beklagte nicht ein. Am 07.02.2020 erhielt der Kläger eine Abmahnung, in welcher die Beklagte ihm vorwarf, Fahrgelder, die im Zeitraum 08.01.2020 bis 10.01.2020 vereinnahmt worden waren, verspätet, nämlich erst am 11.01.2020 eingezahlt und Fahrgelder aus dem Zeitraum 28.01.2020 bis 30.01.2020 in Höhe von 355,88 Euro bis zum 07.02.2020 überhaupt nicht eingezahlt zu haben.

Am 12.02.2020 führte der Kläger ein Gespräch mit dem Personaldisponenten B. der Beklagten in Neuss. Inhalt und Ablauf des Gespräches, insbesondere, ob der Kläger Herrn B. und dessen Familie in diesem Gespräch bedroht hat, sind zwischen den Parteien streitig. Herr B. erstattete nach dem Gespräch gegen den Kläger Strafanzeige bei der Polizei Neuss. Das eingeleitete Ermittlungsverfahren wurde später eingestellt, weil die Erhebung einer Anklage nach Einschätzung der Staatsanwaltschaft nicht im öffentlichen Interesse lag.

Am 14.02.2020 erhielt der Kläger zwei weitere Abmahnungen. Mit einer Abmahnung von diesem Tag warf die Beklagte dem Kläger vor, er habe anlässlich von Erkrankungen am 09.12.2019, 16.12.2019 und 31.01.2020 nicht mitgeteilt, ob er noch Fahrgelder abrechnen müsse. Die Einnahmen vom 06.12.2019 und 16.12.2019 habe er erst am 08.01.2020 eingezahlt. Am 31.01.2020 habe er noch die Einnahmen vom 28.01.2020 bis 31.01.2020 in Besitz gehabt. Mit der weiteren Abmahnung vom 14.02.2020 warf die Beklagte dem Kläger vor, die Fahrgelder vom 06.01.2020 erst am 08.01.2020 und nicht am 06.01.2020 abgerechnet zu haben, obwohl der 07.01.2020 für ihn ein arbeitsfreier Tag war. Den Abmahnung...

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