Entscheidungsstichwort (Thema)

Rechtskontrolle von Betriebsvereinbarungen. Zurechnung des Handelns des Betriebsratsvorsitzenden. Rechtsscheinhaftung des Betriebsrats. Rechtmäßigkeit des Handelns des Betriebsratsvorsitzenden ohne Beschlussfassung. Wirksamkeit der Betriebsvereinbarung bei Rechtsscheinhandeln durch Betriebsratsvorsitzenden

 

Leitsatz (amtlich)

1) Dem Betriebsrat ist das Handeln seines Vorsitzenden auch ohne ordnungsgemäße Beschlussfassung zuzurechnen, wenn er dessen Auftreten kannte und der Geschäftsgegner auf den so gesetzten Rechtsschein vertraut hat und nach Treu und Glauben vertrauen durfte.

2) Liegen die Voraussetzungen einer Rechtsscheinsvollmacht vor, so kann der Betriebsratsvorsitzende für den Betriebsrat auch eine Betriebsvereinbarung wirksam abschließen (so auch LAG Düsseldorf v. 15.04.2021 - 11 Sa 490/20 -; a. A. LAG Düsseldorf v. 27.04.2018 - 10 TaBV 64/17).

 

Normenkette

BetrVG §§ 77, 26 Abs. 2 S. 1, § 33; BGB § 167; BetrVG § 75 Abs. 1, § 87 Abs. 1; ZPO § 97 Abs. 1, §§ 256, 415

 

Verfahrensgang

ArbG Wuppertal (Entscheidung vom 07.11.2019; Aktenzeichen 7 Ca 1307/18)

 

Tenor

  • I.

    Die Berufung des Klägers gegen das Teilurteil des Arbeitsgerichts Wuppertal vom 07.11.2019 - Az.: 7 Ca 1307/18 - wird zurückgewiesen.

  • II.

    Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

  • III.

    Die Revision wird für den Kläger zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten darüber, ob der Kläger nach einem neu eingeführten Entgeltsystem zu vergüten ist, welche Eingruppierung darin zutreffend ist und ob er weiterhin Anspruch auf die Zahlung von Zulagen hat.

Die Beklagte ist ein Unternehmen der Stahlindustrie und stellt Kurbelwellen her. Im Juni 2018 beschäftigte sie in ihrem Werk in S. 72 Mitarbeiter.

Der am 28.08.1970 geborene, verheiratete Kläger war seit dem 01.06.2007 bei der Beklagten als CNC-Fräser tätig. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien fanden kraft arbeitsvertraglicher Vereinbarung die für die Stahlindustrie NRW jeweils geltenden Tarifverträge Anwendung.

Der Lohnrahmentarifvertrag zwischen dem Arbeitgeberverband Eisen- und Stahlindustrie e.V. und der Industriegewerkschaft Metall für die Bundesrepublik Deutschland, Bezirksleitungen Essen, Hagen, Köln und Münster vom 28.07.1966 (im Folgenden: LRTV 1966), wurde durch den Lohnrahmentarifvertrag vom 05.01.1973, Bl. 358 ff. d.A. (im Folgenden: LRTV 1973), abgelöst. Nach der insoweit wortgleichen Regelung des § 2 LRTV 1966 bzw. des § 2 LRTV 1973 erfolgt die Einstufung der Arbeitnehmer nach dem Lohngruppensystem, geregelt in den §§ 3 - 7, oder nach der analytischen Arbeitsbewertung, geregelt im Anhang. Gemäß § 12 des LRTV 1973 erfolgt die Einstufung durch eine betriebliche paritätische Kommission. § 15 LRTV 1973 bestimmt, dass die Festlegung der Entlohnungsformen unter Mitbestimmung des Betriebsrats erfolgt. In § 17 LRTV 1973 ist geregelt, dass Prämienlohn vorliegt, wenn eine Prämie als variabler Leistungslohnanteil für eine über die Soll-Leistung erzielte Mehrleistung zusätzlich mindestens zum Basislohn gezahlt wird, und dass die Prämiengrundsätze mit dem Betriebsrat zu vereinbaren sind.

§ 1 des Anhangs zum LRTV (1966 und 1973) lautet:

"1. Die Einführung der tariflichen analytischen Arbeitsbewertung erfolgt durch Betriebsvereinbarung.

2. Für die Einführung einer anderen Arbeitsbewertungsmethode bedarf es eines Zusatztarifvertrages."

Die Beklagte und der bei ihr gebildete Betriebsrat schlossen am 31.05.1967 eine Betriebsvereinbarung "Zur Einführung des neuen Lohnrahmentarifvertrages vom 28. Juli 1966" (Bl. 48 ff. d.A). Darin vereinbarten sie unter Ziffer 1., dass die Einstufung nach der analytischen Arbeitsbewertung erfolgen sollte. Unter Ziffer 6. trafen sie Regelungen über ein Prämienverfahren sowie über Lohnbestandteile des Prämienarbeiters (Prämien auf Zeitbasis und leistungsgebundene und produktionsabhängige Prämien), wobei für die Prämiengrundlagen auf "Richtlinien" verwiesen wurde, die als Anlage III Bestandteil der Vereinbarung sein sollten. Die bei der Beklagten geltenden "Allgemeinen Bezahlungsrichtlinien" wurden mehrfach geändert. Zuletzt fand die Version vom 01.01.1989 Anwendung (Bl. 162 ff. d.A.). Darin wurde u.a. auf den geltenden LRTV Bezug genommen; in Teil II fanden sich unter Ziffer 11. nähere Regelungen zur Ausgestaltung des Prämienlohns.

In einer Betriebsvereinbarung vom 16.09.1974 wurde die Zahlung einer Sozialzulage vereinbart. Unter dem 15.10.1979 schlossen die Betriebsparteien eine Betriebsvereinbarung über die "Ablösung der gemäß Betriebsvereinbarung vom 16. September 1974 zu zahlenden freiwilligen Sozialzulage" (Bl. 199 d.A., im folgenden BV Ablösung Sozialzulage). Darin wurde zum einen der Wegfall der bisherigen Sozialzulage, "dafür" aber u.a. die Erhöhung der betrieblichen Arbeitswertlöhne um DM 0,08 je Stunde vereinbart.

Der Kläger war im analytischen Entgeltsystem in die Tarifgruppe 21 eingruppiert und erhielt zuletzt bis zum 31.01.2018 einen Monatslohn in Höhe von 3.646,48 € brutto. Der betriebliche Leistungslohn war auf 150% (= 90 Min/h) festge...

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