Entscheidungsstichwort (Thema)

Tarifauslegung

 

Leitsatz (amtlich)

1. Die Tätigkeitszeit als Arzt im Praktikum (AiP) gehört nicht zu den „Vorzeiten ärztlicher Tätigkeiten” i.S.v. § 16 Abs. 2 S. 1 TV-Ä.

2. Zur Billigkeitskontrolle der Entscheidung des Arbeitgebers, zur Kostenvermeidung die AiP-Zeit generell nicht gemäß § 16 Abs. 2 S. 2 TV-Ä zu berücksichtigen.

 

Normenkette

des Tarifvertrages für Ärztinnen und Ärzte an Universitätskliniken (TV-Ä) § 16 Abs. 2

 

Verfahrensgang

ArbG Essen (Urteil vom 23.11.2007; Aktenzeichen 5 Ca 2451/07)

 

Nachgehend

BAG (Urteil vom 23.09.2009; Aktenzeichen 4 AZR 382/08)

 

Tenor

Die Berufung der Klägerin gegen dasUrteil des Arbeitsgerichts Essen vom23.11.2007 wird kostenfällig zurückgewiesen.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

A. Die Parteien streiten über Vergütung.

Die Klägerin war vom 01.07.2001 bis 31.12.2007 als Ärztin im Praktikum (AiP) beim Land Nordrhein-Westfalen, dem Rechtsvorgänger der Beklagten, beschäftigt. Seit dem 01.01.2003 war sie als Ärztin in der Weiterbildung zur Fachärztin für Kinder- und Jugendmedizin bei der Beklagten angestellt. Auf das Arbeitsverhältnis findet kraft beiderseitiger Tarifgebundenheit und vertraglicher Bezugnahme der Tarifvertrag für Ärztinnen und Ärzte an Universitätsklinken (TV-Ä) Anwendung.

Die Beklagte zahlte an die Klägerin im Zeitraum vom 01.07.2006 bis 31.12.2006 Vergütung nach Stufe 4 (Ärzte im 4. Jahr) der Entgeltgruppe 1 des TV-Ä in Höhe von monatlich Euro 4.200,00 brutto. Die Klägerin begehrt für diesen Zeitraum mit ihrer Zahlungsklage die Vergütung nach Stufe 5 (Ärzte im 5. Jahr) in Höhe von monatlich Euro 4.500,00 brutto. Sie meint, dass ihre Tätigkeitszeit als Ärztin im Praktikum nach § 16 Abs. 2 Satz 1 TV-Ä als „Vorzeiten ärztlicher Tätigkeit” anzurechnen und sie daher ab dem 01.07.2006 „Ärztin im 5. Jahr” gewesen sei. Jedenfalls müsse die Beklagte gemäß § 16 Abs. 2 Satz 2 TV-Ä die AiP-Zeit als „Zeiten von Berufserfahrung aus nichtärztlicher Tätigkeit” berücksichtigen: Ihre gegenteilige, allein von finanziellen Interessen getragene Entscheidung, generell AiP-Zeiten nicht anzuerkennen, stelle eine unterlassene bzw. nicht sachgerechte Ermessensausübung dar.

Nach erfolgloser vorgerichtlicher Geltendmachung hat die Klägerin im Juli 2007 vor dem Arbeitsgericht Essen Klage erhoben. Sie hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an sie, die Klägerin, 1.800,00 EUR zu zahlen nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus monatlich jeweils 300,00 EUR seit dem 31. Juli 2006, 31. August 2006, 30. September 2006, 31. Oktober 2006, 30. November 2006 und dem 31. Dezember 2006.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Das Arbeitsgericht hat durch Urteil vom 22.11.2007 die Klage abgewiesen. Mit der form- und fristgerecht eingelegten und begründeten Berufung greift die Klägerin das Urteil, auf das hiermit zur näheren Darstellung des Sach- und Streitstandes verwiesen wird, in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht und unter Wiederholung und Ergänzung ihres erstinstanzlichen Vorbringens an. Sie beantragt die Abänderung des erstinstanzlichen Urteils und Stattgabe der Klage. Die Beklagte verteidigt das Urteil und beantragt die Zurückweisung der Berufung.

Wegen der Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze mit den hierzu überreichten Anlagen Bezug genommen.

 

Entscheidungsgründe

B. Die Berufung hat keinen Erfolg. Das Arbeitsgericht hat zu Recht die Klage abgewiesen. Die Kammer macht sich gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG die Entscheidungsgründe des erstinstanzlichen Urteils zu eigen. Auf die Angriffe der Berufung hat sie lediglich das Folgende anzufügen.

I. Die AiP-Zeit ist nicht nach § 16 Abs. 2 Satz 1 TV-Ä zu berücksichtigen. Die Tarifvorschrift setzt nach ihrem Wortlaut voraus, dass „Vorzeiten ärztlicher Tätigkeit” vorliegen. Die AiP-Tätigkeit ist, weil dem Arzt im Praktikum zum einen noch die Approbation fehlt und er nur eine Erlaubnis nach § 10 Abs. 4 BÄO hat, und er zum anderen seinem Ausbildungsstand gemäß tätig werden soll, keine

„ärztliche Tätigkeit” im Tarifsinn. Dieser Befund steht im Einklang mit der bisherigen höchstrichterlichen Spruchpraxis (BAG Urteil vom 10.12.1997, ZTR 1998, 271, Urteil vom 25.09.1996 ZTR 1997, 125). Den Tarifvertragsparteien des TV-Ä war die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts bekannt. Allein der Umstand, dass im TV-Ä eine neue Vergütungsstruktur geschaffen wurde, ließ nicht die durch die Rechtsprechung geklärte Unterscheidung zwischen der Tätigkeit des Arztes im Praktikum einerseits und ärztlichen Tätigkeiten i.e.S. andererseits entfallen. Daher hatten die Tarifvertragsparteien, wenn sie die AiP-Tätigkeit künftig als „ärztliche Tätigkeit” angesehen und behandelt wissen wollten, Veranlassung, ihren Regelungswillen in einer entsprechenden Tarifregelung zu verdeutlichen. Dies ist nicht, jedenfalls nicht mit hinreichender Klarheit, geschehen.

Auch aus dem tariflichen Gesamtzusammenhang und der Tarifgeschichte ergeben sich keine Anknüpfungspunkte für die Annahme, d...

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