Entscheidungsstichwort (Thema)

Unwirksamkeit betriebsbedingter Kündigung wegen Verletzung der Konsultationspflicht. Betriebsbedingte Kündigung im Steinkohlenbergbau. Konsultationspflicht des Gesamtbetriebsrats. Berücksichtigung des § 17 Abs. 2 KSchG von Amts wegen. Kein Weiterbeschäftigungsanspruch bei fehlenden Einsatzmöglichkeiten

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Die Konsultationspflicht nach § 17 Abs. 2 KSchG ist eine betriebsverfassungsrechtlich geprägte Regelung, wonach sich die zuständige Arbeitnehmervertretung grundsätzlich nach der Kompetenzzuweisung des Betriebsverfassungsgesetzes bestimmt. Bei einer mitbestimmungspflichtigen Betriebsänderung ist der Gesamtbetriebsrat zuständig.

2. Die betriebsbedingte Kündigung ist wegen Verstoß gegen die Konsultationspflicht nach § 17 Abs. 2 KSchG i.V. mit § 134 BGB unwirksam. Denn der Gesamtbetriebsrat wurde vor Ausspruch der Kündigung nicht konsultiert.

3. Die sich aus § 17 Abs. 2 KSchG i.V. mit § 134 BGB ergebende Unwirksamkeit ist von Amts wegen zu berücksichtigen.

4. Ein Weiterbeschäftigungsanspruch scheidet aus, wenn dieser mangels Einsatzmöglichkeiten für den Arbeitgeber nicht zumutbar ist.

 

Normenkette

BetrVG § 50 Abs. 1 S. 1; BGB § 134; KSchG § 17 Abs. 1-2

 

Verfahrensgang

ArbG Essen (Entscheidung vom 13.11.2019; Aktenzeichen 6 Ca 1553/19)

 

Tenor

  • I.

    Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Essen vom 13.11.2019 - Az. 6 Ca 1553/19 - abgeändert und festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom 03.06.2019 zum 31.12.2019 nicht aufgelöst worden ist. Die weitergehende Berufung des Klägers wird zurückgewiesen.

  • II.

    Die Kosten erster Instanz werden der Beklagten auferlegt. Von den Kosten des Berufungsverfahrens werden dem Kläger 1/4, der Beklagten 3/4 auferlegt.

  • III.

    Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer betriebsbedingten Kündigung sowie einen Anspruch des Klägers auf Weiterbeschäftigung.

Der am 09.06.1979 geborene, unverheiratete Kläger war seitdem 01.09.1997 bei der Beklagten zuletzt als Arbeiter in der Fachrichtung Bergtechnik auf dem Bergwerk Q.-l. in C. beschäftigt. Er war eingruppiert in Lohngruppe 11 des Manteltarifvertrags für Arbeitnehmer des Rheinisch-Westfälischen Steinkohlenbergbaus und erhielt ein durchschnittliches Bruttomonatsentgelt in Höhe von 3.500,00 €. Er ist Inhaber eines Bergmannversorgungsscheins.

Die Beklagte ist ein Unternehmen, das unter anderem im Bereich des Steinkohlenbergbaus tätig war. Durch das Gesetz zur Finanzierung der Beendigung des subventionierten Steinkohlenbergbaus zum Jahr 2018 (SteinkohleFinG) vom 20.12.2007 wurde der Ausstieg aus der subventionierten Förderung der Steinkohle in Deutschland geregelt. Gemäß § 1 Abs. 2 d) SteinkohleFinG dient das Gesetz der Finanzierung des sozialverträglichen Anpassungsprozesses für ältere Arbeitnehmer. § 5 Abs. 1 SteinkohleFinG sieht vor, unter Tage beschäftigten Arbeitnehmern, die wegen Stilllegung oder Rationalisierung ihren Arbeitsplatz verlieren, unter bestimmten Voraussetzungen für längstens fünf Jahre Anpassungsgeld (im Folgenden: APG) als Überbrückungshilfe bis zum Beginn einer Altersrente aus der knappschaftlichen Rentenversicherung zu gewähren. Näheres ist in hierzu ergangenen Richtlinien geregelt. In einer Rahmenvereinbarung vom 14.08.2007, Bl. 628 ff. d.A. verpflichteten sich der Bund, die Länder Nordrhein-Westfalen und Saarland sowie die Beklagte hinsichtlich weiterer Finanzierungen und verlängerten unter Ziffer 6 die Geltung der Richtlinien zum APG bis zum 31.12.2022. Eine weitere Sonderregelung für den Steinkohlenbergbau sieht in § 111 Abs. 5 SGB III vor, dass Arbeitnehmer vor der Inanspruchnahme des APG Anspruch auf Transferkurzarbeitergeld haben.

In einer Mitteilung an die Europäische Kommission vom 11.03.2011 übermittelte die Bundesregierung einen Stilllegungsplan für den Auslauf des subventionierten Steinkohlebergbaus zum Ende 2018, Bl. 1128 ff. d.A..

Der Prozess des Ausstiegs wurde bei der Beklagten durch tarifvertragliche Regelungen sowie ergänzende Interessenausgleichsvereinbarungen begleitet. Im Gesamtinteressenausgleich vom 06.03.2012, Bl. 1120 ff. d.A., wurden mit Blick auf die geplanten Zeitpunkte der Stilllegung der drei Bergwerke X. (31.12.2012), B. W. (Ende 2015) und Q.-l. (Ende 2018) Regelungen zur Vermeidung von weiterem Personalzuwachs, zum Auslaufen von Befristungen und zur Einrichtung eines Mitarbeiterentwicklungscenters (M.E.C.) getroffen. Das M.E.C. hatte die Aufgabe, nicht-APG-berechtigte Arbeitnehmer schnellstmöglich in anderweitige Arbeitsplätze zu vermitteln.

Nachdem der Tarifvertrag, der Grundlage für die Einrichtung des M.E.C. war, wegen rechtlicher Bedenken aufgehoben worden war, schlössen die Beklagte und der bei ihr gebildete Gesamtbetriebsrat unter dem 30.04.2015 einen Gesamtinteressenausgleich NEU, Bl. 656 ff. d.A. Die "Ausgangssituation" und die "Unternehmerische Maßnahme" werden dort unter den Ziffern 2 und 3 auszugsweise wie folg...

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