Entscheidungsstichwort (Thema)

Wet-Lease kein Betriebsübergang im Sinne des § 613a BGB. Keine Arbeitnehmerüberlassung durch Nutzungsüberlassung von Flugzeugen. Rechtzeitigkeit der Massenentlassungsanzeige vor Schaffung vollendeter Tatsachen. Rechtmäßigkeit des Geschäftsmodells nach Beendigung der Insolvenz einer Fluggesellschaft

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Die Überlassung von Flugzeugen im Rahmen eines Wet-Lease ist kein Betriebsübergang nach § 613a BGB.

2. Eine Arbeitnehmerüberlassung im Rahmen von Wet-Lease besteht nicht, weil dies nicht Vertragsgegenstand ist und der Vertrag auch keine Umgehung oder einen Gestaltungsmissbrauch der Vorschriften zur Arbeitnehmerüberlassung darstellt.

3. Die Konsultation nach § 17 Abs. 2 KSchG ist solange rechtzeitig, wie noch keine vollendeten Tatsachen geschaffen wurden, also noch keine Unumkehrbarkeit der unternehmerischen Entscheidung vorliegt.

 

Normenkette

AÜG §§ 1, 9-10; ArbGG § 69 Abs. 2; BGB §§ 133-134, 157, 613a; KSchG § 1 Abs. 2-3, § 17 Abs. 1; ZPO § 97 Abs. 1

 

Verfahrensgang

ArbG Düsseldorf (Entscheidung vom 10.03.2021; Aktenzeichen 18 Ca 7885/20)

 

Nachgehend

BAG (Teilurteil vom 11.05.2023; Aktenzeichen 6 AZR 115/22 (A))

 

Tenor

  1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Düsseldorf vom 10.03.2021 - 18 Ca 7885/20 - wird zurückgewiesen.
  2. Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
  3. Die Revision wird zugelassen.
 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Beendigung des Arbeitsverhältnisses des Klägers durch eine ordentliche und auf betriebsbedingte Gründe gestützte Kündigung des Beklagten zu 1 vom 29.07. zum 31.10.2020 sowie darüber, ob das Arbeitsverhältnis aufgrund eines Betriebsübergangs oder aber aufgrund unerlaubter Arbeitnehmerüberlassung mit der Beklagten zu 2 besteht.

Der Beklagte zu 1 ist der Insolvenzverwalter über das Vermögen der Luftfahrtgesellschaft X. mbH (im Folgenden: Schuldnerin). Die Beklagte zu 2 ist eine Fluggesellschaft des M.-Konzerns mit Sitz in K.. Der am 07.10.1967 geborene Kläger war seit dem 30.06.2014 auf der Grundlage des Arbeitsvertrags vom 29.04.2014 (Anlage 01 zur Klageschrift, Blatt 4 ff. der Akte), auf dessen Inhalt wegen der weiteren Einzelheiten Bezug genommen wird, bei der Schuldnerin als Kapitän für das Flugzeugmuster Dash Q400 gegen ein monatliches Bruttogehalt in Höhe von zuletzt 6.900,- € beschäftigt.

Die Schuldnerin trat nicht eigenständig am Markt als Anbieter von Flugreisen gegenüber Endkunden auf, sondern betrieb Flüge im Wet-Lease und zwar als ACMIO (Aircraft, Crew, Maintenance, Insurance, Operation) bezeichnet. Beim Wet-Lease stellt der Betreiber eines Flugzeugs dieses neben Besatzung, Wartung und Versicherung für den Flugbetrieb und auf der Flugstrecke einer anderen Fluggesellschaft zur Verfügung, wobei Flugzeuge und Besatzung nach außen wahrnehmbar, etwa durch die Lackierung des Flugzeugs und die Uniformen des Kabinenpersonals, dem Auftraggeber zugeordnet sind und lediglich ein Hinweis auf den im Wet-Lease operierenden Dienstleister erfolgt. Über eigene Flugzeuge verfügte die Schuldnerin nicht. Diese leaste sie von Dritten im sog. Dry-Lease.

Mit diesem Geschäftsmodell war die Schuldnerin aus der Insolvenz der Air C. PLC und Co. Luftverkehrs KG (im folgenden Air C.) hervorgegangen. Im Jahr 2008 war die Air C. Muttergesellschaft der Schuldnerin geworden. In der Folgezeit leaste die Schuldnerin jedenfalls 15 (nach Angaben des Klägers 20) Dash 8 Q400 Maschinen sowie 13 Airbusse im Wege des Dry-Lease, sei es von Air C., sei es von der Deutschen M. AG (im Folgenden E. AG) bzw. Konzernunternehmen der M.. Die Komplementärin der Air C. hatte Anfang 2017 die Anteile an der Schuldnerin übernommen. Nach der Insolvenzeröffnung über das Vermögen der Air C. im August 2017 wurden die Geschäftsanteile an der Schuldnerin mit einem Anteilskauf- und Übertragungsvertrag vom 13.10.2017 an die M. Commercial Holding GmbH (im Folgenden M. GmbH) veräußert. Sowohl die Beklagte zu 2 als auch die M. GmbH waren 100%ige Tochtergesellschaften der E. AG. Zwischen der Beklagten zu 2 und der E. AG bestand ein Beherrschungsvertrag.

Am 25.10.2017 schloss die Beklagte zu 2 mit der Schuldnerin einen ACMIO Rahmenvertrag (im Folgenden ACMIO RV). In diesem hieß es unter anderem:

"Dieser ACMIO RAHMENVERTRAG (dieser Vertrag) wird ... geschlossen

ZWISCHEN

(1) Luftfahrtgesellschaft X. mbH ... (der Vermieter)

und

(2) F. GmbH ... (der Mieter)

(der Vermieter und der Mieter jeweils einzeln eine Partei und gemeinsam die Parteien)

VORBEMERKUNGEN

(A) Der Vermieter beabsichtigt, bestimmte Tätigkeiten des kommerziellen Fluggastbetriebs im Namen des Mieters auf ACMIO-(Wet-Lease-)Basis gemäß den Bestimmungen dieses Vertrags durchzuführen, und der Mieter beabsichtigt, diese Dienstleistungen von dem Vermieter anzunehmen; und

(B) Die Parteien gehen davon aus, einen oder mehrere Verkürzte ACMIO-Verträge über die Erbringung der Dienstleistungen abzuschließen, wobei ein solcher Einzelvertrag jeweils den hierin enthaltenen Bedingungen und Bestimmungen unterliegt und dem in An...

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