Entscheidungsstichwort (Thema)

Abgrenzung Betriebsstilllegung. Betriebsübergang

 

Leitsatz (amtlich)

Wird ein Betrieb ununterbrochen über den beabsichtigten Stilllegungszeitpunkt hinaus fortgeführt, muss der Arbeitgeber konkret darlegen, wann welche nicht vorhersehbare Entwicklung stattgefunden hat.

 

Normenkette

KSchG § 1; BGB § 613a

 

Verfahrensgang

ArbG Wesel (Urteil vom 02.02.2010; Aktenzeichen 1 Ca 2556/09)

 

Nachgehend

BAG (Urteil vom 16.02.2012; Aktenzeichen 8 AZR 693/10)

 

Tenor

1. Die Berufung des Beklagten gegen das Teilurteil des Arbeitsgerichts Wesel vom 02.02.2010 wird zurückgewiesen.

2. Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt der Beklagte.

3. Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer betriebsbedingten Kündigung ihres Arbeitsverhältnisses durch den Beklagten. Des Weiteren hat der Kläger Anträge auf Weiterbeschäftigung sowie hilfsweise auf Wiedereinstellung angekündigt.

Der am 10.09.1963 geborene, geschiedene Kläger war bei der S. GmbH, der Schuldnerin, seit dem 01.09.1981 beschäftigt.

Die Schuldnerin betrieb zuletzt noch zwei Betriebe in H. und Q.. Sie stellte hoch komplexe, bis zu 24-lagige Leiterplatten her. Ursprünglich hatte sie acht Standorte. Bis zum 31.07.2008 beschäftigte sie noch an vier Standorten über 1.100 Arbeitnehmer. Zum Zeitpunkt der Insolvenzantragstellung Anfang 2009 beschäftigte sie im Betrieb H. 484 Mitarbeiter und im Betrieb Q. 225 Mitarbeiter. In beiden Betriebsstätten waren Betriebsräte eingerichtet. Des Weiteren gab es einen Gesamtbetriebsrat bei der Schuldnerin. Kunden der Schuldnerin kamen zu 80 % aus dem Automobilbereich sowie der Industrie-, Kommunikations- und Medizintechnik. Gesellschafter der Schuldnerin waren die C. T. International Ltd., die C. High Z. Investment (C.) sowie die D. G. Markets plc. (vgl. Bl. 32 d. A.).

Der Kläger absolvierte zunächst seine Ausbildung in der Betriebsstätte H. und arbeitete dort bis zum Jahr 2005. Anschließend wurde er im Werk H. beschäftigt. Zum 01.05.2007 wechselte der Kläger in die Betriebsstätte Q.. Dort wurde er zunächst auf Grundlage des Arbeitsvertrages vom 16.05.2007 (Bl. 7 ff. d. A.) als Werksleiter tätig. Zum 01.01.2009 wurde der Kläger dann aufgrund einer Vereinbarung vom 24.02.2009 (Bl. 11 ff. d. A.) als Leiter des Fachbereichs Logistik und Vertreter des Werksleiters beschäftigt. Die durchschnittlich monatliche Vergütung des Klägers betrug ab dem 01.01.2009 7.250,00 EUR brutto.

Die Schuldnerin beantragte unter dem 03.02.2009 die Eröffnung des Insolvenzverfahrens. Der Beklagte wurde daraufhin zum vorläufigen Insolvenzverwalter ernannt. Der Mitarbeiter des Beklagten, Herr Dr. L., initiierte bereits Ende Februar 2009 ein umfängliches internationales Bieterverfahren zur Suche nach potenziellen Investoren. Hierzu wurde ein Bankhaus beauftragt. Es wurden Broschüren mit den relevanten Daten (Bl. 238 ff. d. A.) an ca. 100 mögliche Interessenten mit der Bitte versandt, bis zum 15.04.2009 ein Angebot anzugeben. Am 14. und 15.04.2009 wurde eine Gesellschaftersitzung der Schuldnerin zur Bewertung der erhofften Angebote anberaumt. Es wurden lediglich zwei Angebote abgegeben, die unterhalb des Zerschlagungswertes lagen. Am 14./15.04.2009 gab es einen gemeinsamen Beschluss der Gesellschafter der Schuldnerin (Bl. 70 d. A.), der Geschäftsführer der Schuldnerin sowie des Beklagten, der eine Schließung der Betriebe mit Ablauf des 30.04.2009 vorsah.

Auf Mitarbeiterversammlungen wurden die Mitarbeiter in beiden Werken am 16.04.2009 über eine geplante Betriebsstilllegung unterrichtet. In einer Pressemitteilung vom 16.04.2009 heißt es (Bl. 161 d. A.):

„In beiden Werken stehen Entlassungen an. Noch in der kommenden Woche sollen die Betroffenen erfahren, welche Mitarbeiter gehen müssen. Insolvenzverwalter I. Q. erklärte, dass etwa die Hälfte der Belegschaft freigestellt werde.

Sofern sich kein neuer Investor findet oder sich die Auftragslage massiv verbessert, können die beiden Leiterplatten-Werke nur bis maximal August existieren. Die Produktion werde „zunächst jedoch weiter aufrechterhalten, um die noch vorliegenden Aufträge fertigzustellen. In diesem Rahmen werden auch von Kunden platzierte Neubestellungen mit produziert.”, heißt es in einer Erklärung von S..”

Mit Beschluss vom 17.04.2009 wurde der Beklagte zum „starken” vorläufigen Insolvenzverwalter bestellt. Mit Schreiben vom 21.04.2009 (Bl. 162 d. A.) stellte der Beklagte den Kläger mit Ablauf des 30.04.2009 von der Mitarbeit frei. Ebenfalls wurden die für die Akquise von Neugeschäften verantwortlichen Mitarbeiter

im Vertrieb freigestellt. Mit Beschluss des Amtsgerichts Kleve vom 01.05.2009 wurde der Beklagte zum Insolvenzverwalter über das Vermögen der S. GmbH bestellt. Am 06.05.2009 fand eine Gläubigersitzung statt (vgl. Protokoll Bl. 249 d. A.). In dem Protokoll (Bl. 251 d. A.) heißt es:

„Der Insolvenzverwalter unterrichtet den Gläubigerausschuss darüber, dass aufgrund der rapide weggebrochenen Auftragseingänge und des desaströsen Ergebnisses der Investorensuch...

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