Entscheidungsstichwort (Thema)

Beabsichtigte endgültige Stilllegung des Betriebs als betriebsbedingter Kündigungsgrund. Abgrenzung zwischen Betriebsveräußerung und Betriebsstilllegung. Betriebsübergang und identitätswahrende Fortführung der wirtschaftlichen Einheit. Keine identifizierbare wirtschaftliche und organisatorische Einheit bei einzelnen Flugzeugen, Abflugstationen oder Wet Lease eines Luftverkehrsunternehmens im Sinne eines Teilbetriebsübergangs. Anhörung der Personalvertretung vor jeder Kündigung. Zuständige Agentur für Arbeit für die Massenentlassungsanzeige für das fliegende Personal bei mehreren Abflugstationen. Unrichtige Angabe der Mitarbeiterzahl kein Grund für eine Unwirksamkeit der Massenentlassungsanzeige

 

Leitsatz (amtlich)

1. Sofern Flugzeuge und Besatzungen in einem Luftfahrtunternehmen auf unterschiedlichen Flugstrecken eingesetzt werden, stellen einzelne Flugzeuge, Start - und Landerechte ("Slots"), Langstrecken, Mittel- und Kurzstrecken für sich betrachtet keine selbstständig abgrenzbaren wirtschaftlichen und organisatorischen Betriebsteile im Sinne des § 613a BGB bzw. der Richtlinie 2001/23/EG vom 12. März 2001 dar. Bei den einzelnen Abflugstationen kommt es auf deren Ausgestaltung und Organisationsstruktur an.

2. Eine Massenentlassungsanzeige ist nicht wegen fehlerhafter Angabe der Anzahl der in der Regel beschäftigten Arbeitnehmer unwirksam, wenn der gekündigte Arbeitnehmer von der Angabe nicht betroffen ist und sie keine Auswirkungen auf die sachliche Prüfung der Arbeitsagentur hat.

 

Normenkette

KSchG § 1 Abs. 2; BGB § 613a; KSchG § 17; RL 2001/23/EG Art. 6; TV PV Cockpit § 74 Abs. 1; BetrVG § 102; BGB § 134

 

Verfahrensgang

ArbG Düsseldorf (Entscheidung vom 24.05.2018; Aktenzeichen 15 Ca 6970/17)

 

Nachgehend

BAG (Urteil vom 27.02.2020; Aktenzeichen 8 AZR 244/19)

 

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Düsseldorf vom 24.05.2018 - 15 Ca 6970/17 - wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten im Berufungsverfahren noch über die Wirksamkeit einer ordentlichen, betriebsbedingten Kündigung des Arbeitsverhältnisses.

Der im September 1961 geborene, verheiratete Kläger war seit März 1989 bei der Air C. PLC & Co. Luftverkehrs-KG (im Folgenden: Schuldnerin) bzw. deren Rechtsvorgängerin zuletzt als Kapitän gegen ein durchschnittliches Bruttomonatsgehalt von etwa 21.000,00 € beschäftigt. Die Grundlage des Arbeitsverhältnisses bildete zuletzt der Arbeitsvertrag vom 06.05.1998 (Bl. 543 ff. d. A.), wonach als dienstlicher Einsatzort G. vereinbart war. Auf ihre Rechte aus der Mobilitätsklausel in § 10 des Arbeitsvertrages verzichtete die Rechtsvorgängerin der Schuldnerin mit Schreiben vom 13.09.1999 (Bl. 590 d. A.). Unter dem 18.03.2003 vereinbarte der Kläger mit der Rechtsvorgängerin der Schuldnerin zur Erledigung eines vom Kläger geltend gemachten Versetzungsanspruchs mit Wirkung ab Oktober 2003 E. als dienstlichen Einsatzort. Bei dem Beklagten handelt es sich um den Insolvenzverwalter über das Vermögen der Schuldnerin.

Die Schuldnerin war bis Ende 2017 die zweitgrößte deutsche und siebtgrößte europäische Fluggesellschaft mit Sitz in C.. Sie beschäftigte mit Stand August 2017 insgesamt 6.121 Arbeitnehmer, davon 1.318 Piloten, 3.362 Beschäftigte in der Kabine und 1.441 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter am Boden. Die Schuldnerin flog neben ihren inländischen Zielen von ihren Drehkreuzen in E. und C.-U. hauptsächlich Ziele in ganz Europa sowie in Nordafrika und Israel an, interkontinental Ziele in Nord- und Mittelamerika. Sie setzte im Flugbetrieb gut 100 Maschinen überwiegend vom Typ Airbus A 319, Airbus A 320, Airbus A 321 und Airbus A 330-200 ein. Die A 320-Familie wurde hauptsächlich für die Mittel- und Kurzstrecke eingesetzt, der Flugzeugtyp A 330 hauptsächlich für die Langstrecke. Die Flugzeuge hatte die Schuldnerin sämtlich geleast.

Bei der Schuldnerin war für die Piloten gemäß § 117 Abs. 2 BetrVG auf Basis des "Tarifvertrags Personalvertretung für das Cockpitpersonal der Air C. PLC & Co. Luftverkehrs KG" (im Folgenden TVPV) eine Personalvertretung (im Folgenden PV Cockpit) gebildet. Daneben bestand für das Kabinenpersonal die Personalvertretung Kabine. Eine übergeordnete Gesamtpersonalvertretung für das fliegende Personal existierte nicht. Für das Bodenpersonal waren Betriebsräte und ein Gesamtbetriebsrat gebildet.

Keines der von ihr genutzten Flugzeuge stand im Eigentum der Schuldnerin. Alle Flugzeuge waren von dieser geleast worden. Seit 2016 flog die Schuldnerin nicht mehr ausschließlich im eigenwirtschaftlichen Flugbetrieb, sondern auch im sog. Wet-Lease insbesondere für die Euro x. GmbH (im Folgenden: Euro x.) und die Deutsche M. AG. Bei einem Wet-Lease werden Flugzeuge einschließlich Cockpit-Crew, Kabinenpersonal, Wartung und Versicherung bereitgestellt. Im Wet-Lease im Auftrag der Euro x. flogen bis zu 38 Flugzeuge der Schuldnerin.

Im Juni 2017 kaufte die Komplementärin der Schuldnerin die Luftfahrtgesellschaft X....

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