Entscheidungsstichwort (Thema)

Nachwirkung bei Anwendung eines Tarifvertrages aufgrund betrieblicher Übung

 

Leitsatz (amtlich)

Gewährt der Arbeitgeber tarifliche Leistungen unabhängig von der Gewerkschaftsangehörigkeit an sämtliche Arbeitnehmer kraft betrieblicher Übung, so haben die nicht organisierten Arbeitnehmer nach Ablauf des gekündigten Tarifvertrages im Nachwirkungszeitraum des § 4 Abs. 5 TVG Anspruch auf Weitergewährung kraft betrieblicher Übung.

 

Normenkette

TVG § 4 Abs. 5

 

Verfahrensgang

ArbG Duisburg (Urteil vom 15.05.1997; Aktenzeichen 4 (1) Ca 721/97)

 

Tenor

Die Berufung der Beklagten gegen dasUrteil des Arbeitsgerichts Duisburg vom 15.05.1997 – 4 (1) Ca 721/97 – wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Der Kläger ist seit Juni 1982 als gewerblicher Arbeitnehmer bei der Beklagten beschäftigt. Er ist nicht tarifgebunden. Die Beklagte zahlte seit Jahren an die bei ihr beschäftigten gewerblichen Arbeitnehmer unabhängig von ihrer Gewerkschaftszugehörigkeit Leistungen nach dem Tarifvertrag über die Gewährung eines 13. Monatseinkommens im Baugewerbe vom 27.04.1990. Das 13. Monatseinkommen betrug ab 01. Januar 1992 10,7 v. H. des in der Zeit vom 01. Dezember des Vorjahres bis zum 30.11. des Folgejahres erzielten Arbeitsentgelts, mindestens jedoch das 102fache ihres in der Lohntabelle ausgewiesenen Gesamttarifstundenlohnes (Mindestbetrag).

Nachdem der Tarifvertrag über die Gewährung eines 13. Monatseinkommens in der Bauindustrie zum 31.10.1996 gekündigt worden war, zahlte die Beklagte im November 1996 nur noch 2/3 des tariflichen 13. Monatseinkommens unterschiedslos an tariflich gebundene und nicht tarifgebundene Arbeitnehmer.

Der Kläger macht im vorliegenden Rechtsstreit das restliche Drittel in rechnerisch unstreitiger Höhe von 1.457,– DM brutto gegen die Beklagte geltend. Er ist der Auffassung, ihm stehe aufgrund betrieblicher Übung nach wie vor die volle tarifliche Jahressonderzahlung zu. Da die Beklagte einräume, daß es in der Niederlassung D. betriebliche Übung gewesen sei, alle Tarifverträge anzuwenden und insoweit nicht zwischen organisierten und nicht organisierten Mitarbeitern zu unterscheiden, werde von dieser Übung auch der Tarifvertrag über die Gewährung eines 13. Monatseinkommens im Baugewerbe erfaßt. Dem stehe nicht entgegen, daß dieser Tarifvertrag gekündigt worden sei. Er wirke jedoch für die gewerkschaftlich organisierten Arbeitnehmer gemäß § 4 Abs. 5 TVG nach. Hieraus folge, daß die Arbeitnehmer, die tarifgebunden seien, durch Klagen in den Genuß des Weihnachtsgeldes kommen würden. Dies müsse aber auch dem Kläger zugute kommen, weil hier die ausdrückliche Erklärung der Beklagten greife, alle Mitarbeiter gleich zu behandeln und nicht nach Gewerkschaftszugehörigkeit differenzieren zu wollen. Wenn es aber betriebliche Übung sei, alle Arbeitnehmer gleich zu behandeln, so müsse diese betriebliche Übung auch für den Fall gelten, daß wegen der Nachwirkung die Zahlung erfolgen müsse.

Der Kläger hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an ihn 1.457,– DM brutto zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie ist der Auffassung, ihm stehe die Klageforderung nicht zu. Insbesondere könne der Kläger sich für sein Klagebegehren nicht auf eine betriebliche Übung berufen. Zwar bestehe in der Niederlassung D. der Beklagten die Praxis, alle Tarifverträge anzuwenden und insoweit nicht zwischen organisierten und nicht organisierten Arbeitnehmern zu unterscheiden. Von dieser Übung sei auch der Tarifvertrag über die Gewährung eines 13. Monatseinkommens im Baugewerbe erfaßt worden, allerdings nur, solange er gegolten habe. Was die Anwendung nicht mehr geltender (im Verhältnis zu organisierten Arbeitnehmern gegebenenfalls nachwirkender) Tarifverträge angehe, existiere bei der Beklagten keine Übung, also auch nicht bezüglich des genannten Tarifvertrages.

Weiter sei auch ein Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz nicht gegeben. Die Beklagte habe nämlich allen Arbeitnehmern in den alten Bundesländern einheitlich ein 13. Monatseinkommen in Höhe von 2/3 gewährt. Eine Differenzierung zwischen Arbeitnehmern mit und ohne nachwirkende Anspruchsgrundlage habe somit faktisch nicht stattgefunden, wäre aber auch nach Auffassung der Beklagten nicht unsachlich gewesen. Aus der Tatsache, daß die Beklagte in Einzelfällen zur Nachzahlung gemäß § 4 Abs. 5 TVG verurteilt werden könnte, könne der Kläger zur Stützung der Klageforderung nichts herleiten.

Das Arbeitsgericht Duisburg hat durch Urteil vom 15.05.1997 der Klage stattgegeben.

Zur Begründung hat das Arbeitsgericht, auf dessen Entscheidungsgründe im übrigen verwiesen wird, im wesentlichen ausgeführt:

Der Kläger habe einen Anspruch auf Zahlung des geltend gemachten Betrages als Differenz zu seinem restlichen 13. Monatseinkommen für das Jahr 1996 aus dem Gesichtspunkt der betrieblichen Übung in Verbindung mit dem Arbeitsvertrag der Parteien.

Die Beklagte habe unstreitig in jahrelanger Übung, zumindest aber seit 1990, die nicht tar...

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