Entscheidungsstichwort (Thema)

Mitbestimmungspflichtige Einstellung beim Wechsel vom Boden- in den Flugbetrieb. Vollständige Identität zwischen Zustimmungsantrag an den Betriebsrat und Zustimmungsersetzungsantrag an das Arbeitsgericht. Aufhebungsverlangen des Betriebsrats bei vom Antragsverfahren abweichender anderer personellen Einzelmaßnahme durch den Arbeitgeber

 

Leitsatz (amtlich)

1. Der Wechsel eines Mitarbeiters vom Boden- in den Flugbetrieb eines Luftverkehrsunternehmens, das in seinem Tarifvertrag Personalvertretung (TV PV) hinsichtlich der Mitbestimmung bei personellen Einzelmaßnahmen auf die Regelungen des BetrVG verweist, stellt sich für die Personalvertretung des Flugbetriebs stets als mitbestimmungspflichtige Einstellung im Sinne des § 99 Abs. 1 BetrVG dar. Das gilt unabhängig davon, ob Flug- und Bodenbetrieb selbständige Betriebe oder Betriebsteile im Sinne der §§ 1, 4 BetrVG bilden.

2. Ein Zustimmungsersetzungsverfahren nach § 99 Abs. 4 BetrVG kann nur für solche personellen Maßnahmen betrieben werden, die zuvor identisch Gegenstand eines Zustimmungsverfahrens nach § 99 Abs. 1 BetrVG waren. Teilidentität reicht nicht aus. Denn Streitgegenstand des Zustimmungsersetzungsverfahrens ist ausschließlich die seitens der Personalvertretung verweigerte Zustimmung zu eben der personellen Maßnahme, zu der sie zuvor nach § 99 Abs. 1 BetrVG beteiligt worden ist.

3. Ändert der Arbeitgeber die beabsichtigte personelle Maßnahme nach der Anhörung der Personalvertretung und deren Zustimmungsverweigerung und beantragt nunmehr zu der abgeänderten Maßnahme vor dem Arbeitsgericht die Zustimmungsersetzung nach § 99 Abs. 4 BetrVG, ist der Antrag unbegründet, wenn nicht die Personalvertretung zuvor zu dieser nun abgeändert beabsichtigten Maßnahme erneut nach § 99 Abs. 1 BetrVG beteiligt worden ist. Denn zu der im Zustimmungsersetzungsantrag genannten Maßnahme fehlen dann das Verfahren nach § 99 Abs. 1 BetrVG und eine verweigerte, gerichtlich zu ersetzende Zustimmung der Personalvertretung und zu der Maßnahme, die Gegenstand des ursprünglichen Beteiligungsverfahrens nach § 99 Abs. 1 BetrVG war, fehlt ein Zustimmungsersetzungsantrag nach § 99 Abs. 4 BetrVG. Das gilt jedenfalls bei allen nicht gänzlich unbedeutenden und damit die Identität unberührt lassenden Änderungen oder Modifikationen der personellen Maßnahme zwischen Anhörung nach § 99 Abs. 1 BetrVG und Zustimmungsersetzungsantrag nach § 99 Abs. 4 BetrVG.

4. Führt der Arbeitgeber infolge der Stellungnahme der Personalvertretung ohne deren Zustimmung eine andere Maßnahme durch als die, für die zuvor die Zustimmung nach § 99 Abs. 1 BetrVG beantragt worden ist, kann die Personalvertretung deren Aufhebung nach § 101 BetrVG verlangen.

 

Normenkette

BetrVG §§ 99, 117; TTVPV der Eurowings GmbH; BetrVG § 101

 

Verfahrensgang

ArbG Düsseldorf (Entscheidung vom 09.09.2015; Aktenzeichen 8 BV 86/15)

 

Nachgehend

BAG (Beschluss vom 12.06.2019; Aktenzeichen 1 ABR 39/17)

 

Tenor

  • I.

    Auf die Beschwerde der Beteiligten zu 2.) wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Düsseldorf vom 09.09.2015 - Az.: 8 BV 86/15 - abgeändert:

    Die Anträge der Antragstellerin werden zurückgewiesen.

    Auf den Widerantrag der Beteiligten zu 2.) wird der Antragstellerin aufgegeben, die Einstellung des Mitarbeiters S. C. als Kapitän (CPT) auf dem Flugzeugmuster Airbus (vorsorglich Flugzeugmuster CRJ) in den Flugbetrieb der Antragstellerin an der Heimatbasis E. mit Wirkung zum 15.04.2015 aufzuheben.

  • II.

    Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

 

Gründe

I.

Die Beteiligten streiten über die mitbestimmungsrechtliche Zulässigkeit der personellen Einzelmaßnahme der Einstellung des Mitarbeiters S. C. als Kapitän (CPT) auf dem Flugzeugmuster Airbus (vorsorglich Flugzeugmuster CRJ) sowie über deren vorläufige Durchführung bzw. Aufhebung.

Bei der Arbeitgeberin und zugleich Antragstellerin dieses Verfahrens handelt es sich um ein Luftverkehrsunternehmen mit Sitz in E.. In ihrem Flugbetrieb, dessen Leitung ihren Sitz gleichfalls in E. hat, beschäftigt sie bundesweit ca. 300 Mitarbeiter des Cockpit-Personals. Darüber hinaus unterhält sie unter anderem an ihrem Standort E. einen Bodenbetrieb, für den auch ein Betriebsrat gewählt ist.

Antragsgegnerin und Beteiligte zu 2.) ist die bei der Antragstellerin auf der Grundlage eines Tarifvertrages nach § 117 Abs. 2 Satz 1 BetrVG gebildete Personalvertretung für das Cockpitpersonal.

In dem auf der Grundlage des § 117 Abs. 2 Satz 1 BetrVG für den Flugbetrieb der Antragstellerin abgeschlossenen Tarifvertrag Personalvertretung Nr. 1 vom 25.07.2007 (im Folgenden: TV PV) heißt es auszugsweise wörtlich wie folgt (Blatt 201 ff. der Akte):

"§ 1 Errichtung der Personalvertretung

(1)Im Flugbetrieb der F. Luftverkehrs AG (nachfolgend EW genannt) wird eine eigenständige Personalvertretung für die Cockpitmitarbeiter (PV-Cockpit) gewählt.

(2)Aufgaben und Befugnisse dieser Personalvertretung erstrecken sich auf den Bereich der Bundesrepublik Deutschland und auf Versetzungen ins Ausland bis zu 12 Monaten.

(3)Sofern durch diesen...

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