Entscheidungsstichwort (Thema)

Ausnahmen vom Mindestlohn für Zeitungszustellerinnen und Zeitungszusteller. Unbegründete Mindestlohnklage eines Zustellers von Anzeigenblättern mit redaktionellem Inhalt

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Der Anspruch auf den gesetzlichen Mindestlohn entsteht mit jeder geleisteten Arbeitsstunde (§ 1 Abs. 2 mit § 20 und § 1 Abs. 1 MiLoG); zur schlüssigen Darlegung der tatsächlich geleisteten Arbeitsstunden reicht die Behauptung einer aus dem Durchschnitt eines Zeitraums ermittelten Stundenzahl nicht aus.

2. Gemäß § 24 Abs. 2 Satz 3 MiLoG sind Zeitungszustellerinnen und Zeitungszusteller Personen, die in einem Arbeitsverhältnis ausschließlich periodische Zeitungen oder Zeitschriften an Endkunden zustellen; dazu gehören auch Zustellerinnen und Zusteller von Anzeigenblättern mit redaktionellem Inhalt.

3. Anzeigenblätter im Sinne des § 24 Abs. 2 Satz 3 MiLoG sind Presseprodukte, die - etwa als “Wochenzeitung„, “Wochenblatt„ oder “Stadtteilzeitung„ - regelmäßig und kostenlos an die Haushalte eines festumrissenen Gebiets verteilt werden, sich allein durch die aufgegebenen Anzeigen finanzieren und dabei nur einen kleineren oder nur regionalen redaktionellen Teil enthalten (hier: “Weser Kurier„, “Kurier der Woche„ einschließlich “Kurier der Woche extra„ und das Magazin “Werder Heimspiel„ für Dauerkartenbesitzer vor jedem Heimspiel der ersten Fußballbundesliga Herrenmannschaft des Sportvereins Werder Bremen).

4. Der publizistische Herausgabezweck im Sinne des Art. 5 Abs. Satz 2 GG wird nicht beeinträchtigt, wenn das Presseerzeugnis Werbeanzeigen enthält, solange deren Verbreitung nicht das Ziel der Publikation darstellt sondern das Mittel zur Finanzierung der Verbreitung von Meinungen und Informationen ist; ausgeschlossen sind demgegenüber Presseerzeugnisse, die den geschäftlichen Interessen von Unternehmen, Vereinen, Verbänden oder sonstigen Körperschaften dienen oder geschäftliche Empfehlungen oder Vermittlungsdienste des Verlages selbst anbieten.

 

Normenkette

GG Art. 3 Abs. 1, Art. 5 Abs. 1 S. 2; MiLoG § 1 Abs. 1, 2 S. 1, §§ 20, 24 Abs. 2 Sätze 1, 3

 

Verfahrensgang

ArbG Bremen-Bremerhaven (Entscheidung vom 07.04.2016; Aktenzeichen 3 Ca 3155/15)

 

Tenor

1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Bremen-Bremerhaven vom 07.04.2016 - 3 Ca 3155/15 - wird zurückgewiesen.

2. Die Kosten der Berufung hat der Kläger zu tragen.

3. Gegen dieses Urteil wird die Revision für den Kläger zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten um Differenzvergütung auf den gesetzlichen Mindeststundenlohn nach § 1 Abs. 2 S. 1 MiLoG in Höhe von 8,50 Euro.

Der Kläger war zunächst bei der Rechtsvorgängerin der Beklagten, der B. AG, als Zusteller beschäftigt. Während der Zeit der Beschäftigung bei der Rechtsvorgängerin war das Arbeitsverhältnis durch Regelungen aus dem bei der damaligen Arbeitgeberin geltenden Haustarifvertrag bestimmt. Zum 1. Januar 2014 ging das Arbeitsverhältnis des Klägers im Wege des Betriebsübergangs auf die Beklagte über.

Auf das Arbeitsverhältnis findet das Entgeltschema des Haustarifvertrags für Zeitungszustellerinnen und -zusteller zwischen der B. AG und der IG Medien Druck und Papier, Publizistik und Kunst Landesbezirk Niedersachsen-Bremen vom 4. August 1993 Anwendung. Zu diesem Tarifvertrag besteht die "Zusatzvereinbarung zum Haustarifvertrag für Zeitungszustellerinnen und -zusteller vom 4.8.1993" vom 27. Dezember 1995. Danach erhält der Kläger eine Stücklohnvergütung. Aufgrund der jeweiligen besonderen Umstände in den Zustellbezirken schwankte die Vergütung, die der Kläger durch die Stücklohnvergütung erhielt. Bezogen auf den einzelnen jeweiligen Zustellbezirk lag die Vergütung bei einer Umrechnung der erhaltenen Stückvergütung in eine Stundenvergütung teilweise oberhalb eines Arbeitsentgeltes von 8,50 € brutto pro Stunde. Zum Teil lag sie, abhängig von Stückzahl, Wegezeit sowie Wetter- und Verkehrsbedingungen, unterhalb eines Betrags von 8,50 € brutto pro Stunde. Der Kläger erhielt einen Nachtzuschlag i.H.v. 25 % und einen Sonntagszuschlag i.H.v. 42 %, jeweils bezogen auf die Stücklohnvergütung. Für die gelegentliche Übernahme der Vertretung in anderen Zustellbezirken erhielt der Kläger neben der hierfür anfallenden Stücklohnvergütung eine zusätzliche Vertretungsprämie, die er zuvor mit der Beklagten aushandelte. Soweit - bezogen auf die im jeweiligen Monat angefallenen Arbeitszeiten - der Stücklohn unterhalb des gesetzlichen Mindestlohns im Sinne des § 24 Abs. 2 MiLoG, also unterhalb von 6,38 € für den Zeitraum bis zum Ende des Jahres 2015 bzw. 7,23 € für den Zeitraum seit Beginn des Jahres 2016, lag, glich die Beklagte die Differenz zum verminderten Mindestlohn für Zeitungszusteller aus. Für den Monat Januar 2016 zahlte die Beklagte an den Kläger für 85,98 Stunden 658,52 € brutto.

Neben Tageszeitungen trug der Kläger auch den "Kurier der Woche Extra" aus, der aus Werbeprospekten besteht und von zweitverwerteten Artikeln der Tageszeitung ummantelt wird. Auch trug er das Produkt "Werder ...

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