Entscheidungsstichwort (Thema)

Wiedereinstellung. Besorgnis der Störung des Betriebsfriedens. Früheres Verhalten

 

Leitsatz (redaktionell)

Ist ein wieder einzustellender Mitarbeiter zuvor wegen gravierender Verletzung seiner arbeitsvertraglichen Pflichten aus dem Betrieb ausgeschieden, ist § 99 Abs. 2 Nr. 6 BetrVG in Zusammenhang mit § 104 BetrVG zu sehen. Bei der Zusammenschau beider Normen ergibt sich eine rechtliche Beurteilungsstruktur, die der des § 626 Abs. 1 BGB ähnelt, wobei der Schwerpunkt der Prüfung darauf liegt, welche Prognose dem einzustellenden Mitarbeiter angesichts des Vorfalls, der zu seinem Ausscheiden aus dem Betrieb geführt hat, gestellt werden kann. Die Prognose ist daran zu orientieren, für welchen Zeitraum der Mitarbeiter eingesetzt werden soll.

 

Normenkette

BetrVG §§ 99-100, 104

 

Verfahrensgang

ArbG Bremen (Beschluss vom 11.04.2002; Aktenzeichen 5 BV 104/01)

 

Nachgehend

BAG (Beschluss vom 16.11.2004; Aktenzeichen 1 ABR 48/03)

 

Tenor

Die Beschwerde des Betriebsrats gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Bremen vom 11.04.2002 wird zurückgewiesen.

Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

 

Tatbestand

I.

Die Beteiligten streiten über die Einstellung eines Mitarbeiters sowie über das Erfordernis seiner vorläufigen Einstellung.

Der Antragstellerin (im folgenden Arbeitgeber) obliegt die hoheitliche Aufgabe, für die Sicherheit des Luftverkehrs Sorge zu tragen. Sie unterhält eine Niederlassung in Bremen mit mehr als 20 Arbeitnehmern. Antragsgegner ist der dort gewählte Betriebsrat (im folgenden Betriebsrat).

Der Arbeitgeber beabsichtigt die Einstellung des Mitarbeiters Ma. sowie dessen vorläufige Beschäftigung.

Der Mitarbeiter Ma. war bereits zuvor beim Arbeitgeber tätig, zuletzt als Wachleiter mit Vorgesetztenfunktion. Er war zum 31.03.2001 aufgrund eines am 26. Februar 2001 abgeschlossenen Aufhebungsvertrages ausgeschieden und in die Übergangsversorgung eingetreten. Zuvor war er 31 Jahre beim Arbeitgeber bzw. dessen Rechtsvorgängern tätig gewesen.

Anlass für das Ausscheiden des Mitarbeiters Ma. war ein Vorfall am 15.11.2001 bzw. in der Woche vom 20. bis 26.11.2000, über die genaue Datierung streiten die Beteiligten. Herr Ma. hatte aus dem Schreibtisch des Wachleiters Mü. persönliche bzw. vertrauliche Unterlagen entwendet, diese später mehrmals kopiert und am 27.11.2000 allen Wachleitern der Niederlassung Bremen anonym an deren Privatanschrift zugeschickt. Zu den Unterlagen gehörten unter anderem persönlicher Schriftverkehr des betroffenen Wachleiters mit seinem Arbeitgeber sowie vertrauliche Personalunterlagen, u. a. ein Auswahlverfahren für eine Wachleiter-FDB-Ausschreibung betreffend einschließlich der psychologischen Beurteilungen weiterer Mitarbeiter sowie Unterlagen im Zusammenhang mit der Ausschreibung einer Funktion „Leiter EBG”, die im Zusammenhang mit einer geplanten Verschlankung der Führungsstruktur geschaffen werden sollte.

Der Wachleiter Müller hatte allen Wachleitern den Zutritt zu seinem Büro gestattet. Die Wachleiter hatten einen entsprechenden Schlüssel. Die Wachleiter lassen ihre Büros in der Regel offen. Umstritten zwischen den Beteiligten ist, ob Herr Ma. sich gewaltsam Zugang zum Büro des Wachleiters Mü. in dessen mehrtägiger Abwesenheit Ende November, in der er das Büro verschlossen hatte, verschafft hatte und ob hierfür ein dienstlicher Anlass gegeben war.

Der Arbeitgeber und die betroffenen Mitarbeiter hatten zunächst Strafanzeige gegen Unbekannt erstattet. Einige Zeit später bekannte sich Herr Ma. zu der Tat, daraufhin wurde der Aufhebungsvertrag vom 26.02.2001 geschlossen. Im Aufhebungsvertrag wurde ausdrücklich festgestellt, dass sich sowohl der Arbeitgeber als auch Herr Ma. darüber einig waren, es habe sich um einen Sachverhalt gehandelt, dessen Schwere dem Arbeitgeber auch in Anbetracht der langjährigen Dienstzeit und des Fehlens von Abmahnungen das Recht gebe, aus wichtigem Grund das Arbeitsverhältnis außerordentlich zu kündigen. Nach Abschluss des Aufhebungsvertrages wurden die Strafanzeigen zurückgenommen.

Die Aktion des damaligen Wachleiters Ma. geschah vor dem Hintergrund, dass zum damaligen Zeitpunkt eine Verschlankung der Leitungsstruktur bei der Beklagten in der Niederlassung Bremen geplant war, die auf der betroffenen Hierarchieebene Befürchtungen auslöste. Es entstand unter den Wachleitern wegen des Verdachts, die Personalentscheidungen für die neustrukturierte Führungsebene seien bereits getroffen, erhebliche Unruhe. Dieser Verdacht war, wie der Arbeitgeber in zweiter Instanz vorträgt, berechtigt.

Der Wachleiter Ma. glaubte mit den aus dem Büro des Wachleiters Mü. entfernten Unterlagen den Beweis in Händen zu haben, dass die Besorgnisse zutreffen, Personalentscheidungen seien unbeschadet der Versicherung des Arbeitgebers, alles sei offen, bereits gefällt worden.

Unmittelbar nach der Aktion des Wachleiters Ma. entstand im Betrieb allgemeine Unruhe. Keiner der Wachleiter konnte sich vorstellen, mit Herrn Ma. zusammenzuarbeiten.

Im Bereich der Fluglotsen besteht beim Arbeitgeb...

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Deutsches Anwalt Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge