Entscheidungsstichwort (Thema)

Bestellung eines Wahlvorstandes zur Durchführung einer Betriebsratswahl in einem Einzelhandelsunternehmen mit Filialen im gesamten Bundesgebiet

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Gemäß § 17 Abs. 4 BetrVG bestellt das Arbeitsgericht auf Antrag von mindestens drei wahlberechtigten abhängig Beschäftigten oder einer im Betrieb vertretenen Gewerkschaft einen Wahlvorstand für die Wahl eines Betriebsrats, wenn trotz Einladung keine Betriebsversammlung stattfindet oder wenn die Betriebsversammlung keinen Wahlvorstand wählt.

2. Die gerichtliche Bestellung des Wahlvorstandes nach § 17 Abs. 4 BetrVG ist ein Notbehelf, auf den nur dann zurückgegriffen werden kann, wenn die Initiatoren der Betriebsratswahl allen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern wenigstens die Chance eingeräumt haben, einen demokratisch legitimierten Wahlvorstand zu wählen und wenn dies gleichwohl nicht erfolgt ist. Das Gesetz gibt klar zu erkennen, dass die Gründe, warum auf der Betriebsversammlung kein Wahlvorstand gewählt worden ist, nicht entscheidend sind.

3. Durch die Anrufung des Arbeitsgerichts und die Einleitung eines Bestellungsverfahrens wird das der Betriebsversammlung gemäß § 17 Abs. 2 BetrVG zustehende Recht, einen Wahlvorstand zu wählen, jedenfalls so lange nicht beschränkt, wie eine rechtskräftige Entscheidung noch nicht vorliegt. Demnach bleibt es einer Betriebsversammlung im Betrieb der Arbeitgeberin vorbehalten, mindestens bis zur Rechtskraft eines Beschlusses einen anderen Wahlvorstand zu wählen.

4. Nach dem gesetzlichen Leitbild, das in § 1 Abs. 1 BetrVG zum Ausdruck kommt, “werden" in Betrieben mit in der Regel mindestens fünf ständigen wahlberechtigten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern Betriebsräte “gewählt". Jedenfalls folgt aus dem Sozialstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 1, Art. 28 Abs. 1 GG) einerseits sowie der Schutzpflicht des Staates für die Grundrechte der Arbeitnehmer (insbesondere aus Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1, Art. 12 Abs. 1 GG) andererseits nicht nur die Legitimation sondern auch die Verpflichtung, überhaupt eine Beteiligung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer gesetzlich sicher zu stellen.

 

Normenkette

GG Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1, Art. 12 Abs. 1, Art. 20 Abs. 1, Art. 28 Abs. 1; BetrVG § 1 Abs. 1, § 17 Abs. 4

 

Verfahrensgang

ArbG Bremen-Bremerhaven (Entscheidung vom 17.02.2016; Aktenzeichen 2 BV 210/15)

 

Nachgehend

BAG (Beschluss vom 20.02.2019; Aktenzeichen 7 ABR 40/17)

 

Tenor

Die Beschwerde der Beteiligten zu 6. wird unter teilweiser Abänderung des Beschlusses des Arbeitsgerichts Bremen-Bremerhaven vom 17.02.2016 - 2 BV 210/15 - mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass

1. Ein aus drei Personen bestehender Wahlvorstand zur Durchführung der Betriebsratswahl im Betrieb der Beteiligten zu 6. in der ...straße 54-70 in 28195 Bremen bestellt wird. Der Wahlvorstand setzt sich zusammen aus den Beteiligten zu 2., 3., und 7.

2. Zu Ersatzmitgliedern des Wahlvorstandes zur Durchführung der Betriebsratswahl im Betrieb der Beteiligten zu 6. in der ...straße 54-70 in 28195 Bremen die Beteiligten zu 5. und 8. mit der Maßgabe bestellt werden, dass die Reihenfolgte des Nachrückens für den Fall der Verhinderung eines Wahlvorstandsmitglieds sich nach der alphabetischen Namensfolge der Ersatzmitglieder bestimmt.

Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.

 

Gründe

I.

Die Beteiligten streiten um die Bestellung eines Wahlvorstandes.

Die Beteiligte zu 6. (im Folgenden Arbeitgeberin) betreibt ein Einzelhandelsunternehmen mit Filialen im gesamten Bundesgebiet.

In einem ihrer Bremer Betriebe, nämlich denjenigen in der ...straße, in dem aktuell 19 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer beschäftigt sind, besteht kein Betriebsrat. Auch ein Gesamt- oder Konzernbetriebsrat ist nicht gebildet.

Die Beteiligten zu 2., 3., 5. sowie 7. und 8. sind Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in der vorgenannten Filiale. Die Beteiligten zu 1. und 4. waren bei der Arbeitgeberin beschäftigt. Die Beteiligte zu 1. ist auf Grund Fristablaufs ihres befristeten Arbeitsvertrages zum 30.06.2016 aus dem Arbeitsverhältnis ausgeschieden, die Beteiligte zu 4. hat einen Aufhebungsvertrag zum 31.05.2016 unterschrieben. Die Beteiligte zu 1. ist Mitglied der Gewerkschaft v. .

Mit Schreiben vom 28. August 2015 ließen die Beteiligten zu 1., 3. und 4. durch die Gewerkschaft v. der Arbeitgeberin mitteilen, dass beabsichtigt sei, in dem Betrieb in der ...straße in Bremen eine Betriebsratswahl in die Wege zu leiten und das zu diesem Zwecke am 22.10.2015, um 18:00 Uhr eine Wahlversammlung zur Wahl des Wahlvorstandes stattfinden solle (Anlage A1, Bl. 5 f. d. A.). Die Einladung zu dieser Versammlung wurde am 14.10.2015 im Aufenthaltsraum des Betriebs in der ...straße ausgehängt. Eine weitere Einladung mit Angabe der Zeit und des Ortes der Versammlung wurde am 15.10.2015 ausgehängt (Anlage A6, Bl. 84 f d. A.). Außerdem informierte die Arbeitgeberin auf Bitten der Beteiligten zu 1., 3. und 4. auch diejenigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter über die Durchführung der Versammlung, die auf Gr...

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