Leitsatz (amtlich)

1. Das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG ist bei der Ausgestaltung der Regelungen über eine Jahressonderzahlung nicht wirksam ausgeübt worden, wenn dem Arbeitgeber bei der Festsetzung des an den einzelnen Arbeitnehmer zu zahlenden Betrages ein lediglich an allgemein formulierte Kriterien gebundenes Leistungsbestimmungsrecht im Rahmen von Spannweitenklauseln (z. B. Jahressonderzahlung in Höhe von 210–225 % eines Bruttomonatseinkommens) eingeräumt wird. Eine solche Regelung verfehlt den Sinn und Zweck des Mitbestimmungsrechts nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG, wonach der Betriebsrat zur Wahrung der innerbetrieblichen Lohngerechtigkeit und zur Durchsichtigkeit und Einsehbarkeit des jeweiligen Entlohnungssystems beitragen soll.

2. Dies gilt auch bei AT-Angestellten.

3. Ein Einigungsstellenspruch, der eine solche Regelung beinhaltet, ist insoweit rechtsunwirksam, weil das Unterlassen einer eigenen Ermessensentscheidung gem. § 76 Abs. 5 S. 3 BetrVG durch die Einigungsstelle einem mitbestimmungsfreien Zustand gleichkommt und eine Ermessensüberschreitung darstellt.

 

Verfahrensgang

ArbG Bremen (Beschluss vom 27.02.1990; Aktenzeichen 2 BV 1/90)

 

Nachgehend

BAG (Beschluss vom 11.02.1992; Aktenzeichen 1 ABR 51/91)

 

Tenor

Auf die Beschwerde des Beteiligten zu 1. (Betriebs rat) wird der Beschluß des Arbeitsgerichts Bremen vom 27. Februar 1990 – 2 BV 1/90 – teilweise abgeändert und – teils aus Gründen der Klarstellung – insgesamt wie folgt neu gefaßt:

Es wird festgestellt, daß der Spruch der Einigungsstelle betreffend die zusätzliche Jahressondervergütung 1989 vom 20. November 1989 in Ziffer 7. Buchstabe a) – c) unwirksam ist.

Im übrigen wird der Antrag zurückgewiesen.

Die weitergehende Beschwerde wird als unbegründet zurückgewiesen.

Das Verfahren ist gerichtkostenfrei.

Die Rechtsbeschwerde wird gegen diesen Beschluß zugelassen.

 

Tatbestand

I.

Der Beteiligte zu 1. ist der Gesamtbetriebsrat bei der Beteiligten zu 2., einer aus mindestens 2 Betrieben, nämlich in Bremen und Essen, bestehenden GmbH. Sitz des Unternehmens ist Bremen; die Hauptverwaltung befindet sich in Essen. Die Beteiligten streiten um die Wirksamkeit eines Spruches der Einigungsstelle vom 20. November 1989 betreffend die zusätzliche Jahressondervergütung für 1989.

Mit rechtskräftigem Beschluß des Arbeitsgerichts Essen vom 16. März 1989, Aktenzeichen 3 BV 9/89, wurde eine Einigungsstelle hinsichtlich der Jahressonderzahlung 1988 für AT-Angestellte auf Antrag des Betriebsrats in Essen eingesetzt. Die Einigungsstelle tagte am 24.5., 9.8. und 29.9.1989 unter Vorsitz des Richters am Arbeitsgerichts Münster Heiringhoff mit jeweils 3 Beisitzern auf der Arbeitnehmer- und Arbeitgeberseite. Für die Arbeitnehmerseite wurden Vertreter des Gesamtbetriebsrats tätig; Auf der Sitzung am 29.9.1989 hat die Einigungsstelle einen Spruch verkündet, der unter anderem für zukünftige Zahlungen von zusätzlichen Jahressondervergütungen für AT-Angestellte unter Ziffer 2. folgende Verfahrensregelung vorsah:

„Beabsichtigt der Arbeitgeber zukünftig den AT-Angestellten eine zusätzliche Vergütung zu zahlen, so ist zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat eine Vereinbarung über die Maßstäbe, nach denen die Zahlung erfolgt, zu treffen. Diese sind ergebnisorientiert unter Berücksichtigung besonderer externer Einflüsse, leistungsorientiert und verantwortungsbezogen.

Für den Fall, daß zwischen den Beteiligten eine einverständliche Lösung nicht gefunden wird, entscheidet die Einigungsstelle in gleicher Besetzung ohne besonderes gerichtliches Bestellungsverfahren.

Eine Auszahlung der zusätzlichen Zahlung erfolgt erst nach Abschluß der Vereinbarung bzw. nach Beendigung des E-Stellenverfahrens.

gez. …

Protokollerklärung der Arbeitgeber- und Arbeitnehmerseite

Die hier getroffene Regelung über die Sonderzahlungen für 1988 hat keinerlei präjudizierende Wirkung.”

Namens des Gesamtbetriebsrats erklärte der Beisitzer … einen Rechtsmittelverzicht hinsichtlich der getroffenen Regelung.

Wegen der Zahlung der zusätzlichen Jahressondervergütung für 1989 an die AT-Angestellten kam es zwischen den Beteiligten in der Folgezeit zu keiner Einigung, worauf am 20.11.1989 eine weitere Einigungsstelle gemäß der im zitierten Spruch niedergelegten Verfahrensregelung mit gleicher personeller Besetzung erneut zusammentrat. Laut Beschluß des Gesamtbetriebsrats sollte in der hier tatsächlich zusammengetretenen Einigungsstelle eine Regelung für die streitige Zuwendung erfolgen. Im Protokoll der Sitzung der Einigungsstelle vom 20.11.1989 wurde zu Beginn ausdrücklich festgestellt:

„Im Einvernehmen mit den Beteiligten der Einigungsstelle wurde vom Vorsitzenden festgehalten, daß sich die Einigungsstelle ordnungsgemäß konstituierte.”

In der Sitzung der Einigungsstelle vom 20.11.1989 erzielte weder der von Arbeitgeberseite noch von Arbeitnehmerseite vorgelegte Vorschlag die Zustimmung der Mitglieder der Einigungsstelle. Nachdem der Vorsitzende der Einigungsstelle seinerseits einen Entwurf einer Betriebsvere...

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