Entscheidungsstichwort (Thema)

Annahmeverzug des Arbeitgebers und Unzumutbarkeit der Annahme der Leistung des Arbeitnehmers

 

Leitsatz (amtlich)

Unter besonderen Voraussetzungen, etwa beim dringenden Verdacht des sexuellen Mißbrauchs von Kleinkindern in einer Kindertagesstätte durch einen Erzieher, kann es dem Arbeitgeber unzumutbar sein, die vom Arbeitnehmer angebotene Arbeitsleistung anzunehmen.

 

Normenkette

BGB § 293 ff., § 615

 

Verfahrensgang

ArbG Berlin (Urteil vom 26.05.1995; Aktenzeichen 36 Ca 21099/93)

 

Tenor

Auf die Berufung des Beklagten wird das am 26. Mai 1995 verkündete Urteil des Arbeitsgerichts Berlin – 36 Ca 21099/93 – wie folgt abgeändert:

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Kosten des Rechtsstreits hat der Kläger zu tragen.

 

Tatbestand

Der 1949 geborene Kläger war beim Beklagten, der eine Kindertagesstätte mit regelmäßig mehr als fünf beschäftigten Arbeitnehmern betreibt, seit der 1. Juli 1990 als Erzieher tätig. Vor dieser Zeit wurde er bereits von der Rechtsvorgängereinrichtung des Beklagten als Erzieher beschäftigt und zum Betriebsobmann gewählt. Er erzielte zuletzt ein monatliches Durchschnittseinkommen in Höhe von 3.900,– DM brutto.

Am 24. August 1992 abends beim Zubettgehen hatte der vom Kläger betreute, am 2. April 1989 geborene … gegenüber seiner Mutter über Schmerzen im Analbereich geklagt und berichtet, der Kläger habe ihm in der Kindertagesstätte „Tee aus einer Teekanne in den Po gegossen”. Die Mutter stellte einen geröteten Po und Druckstellen im Beckenbereich fest. Von einem ähnlichen Vorfall hatte das Kind seiner Mutter bereits einige Wochen vorher erzählt. Nachdem die Mutter des Kindes am 26. August 1992 mit dem Kläger Ober die Mitteilungen des Kindes gesprochen hatte, stellte sie am Abend bei … einen flüssigen Stuhl fest. Die Kindeseltern stellten daraufhin … im „Kind im Zentrum” vor, die den Verdacht eines sexuellen Mißbrauches durch den Erzieher äußerten. Außerdem wurden den Kindeseltern zwei weitere, jedoch nicht eindeutig klärbare Vorfälle im Zusammenhang mit dem Kläger berichtet, in denen der Verdacht eines Mißbrauches der Kinder geäußert wurde. Am 3. September 1992 begab sich die Mutter des Kindes in die Kinderpsychiatrische Abteilung des Universitätsklinikums Rudolf Virchow der Freien Universität Berlin, um … untersuchen zu lassen. Im Untersuchungsbericht vom 28. September 1992 heißt es unter anderem:

„Befunde:

Psychopathologisch:

Wir sahen einen 3;5 Jahre alten Jungen in altersentsprechendem EZ und gepflegten AZ. Der Kontakt zu … gelang über spielerische Mittel sehr gut, Fragen zu den oben beschriebenen Situationen wich … jedoch aus, er berichtete nur, daß besagter Erzieher Quatsch mit ihm gemacht habe. Insgesamt zeigten sich jedoch keine Anzeichen einer stärkeren Traumatisierung durch die o. g. Ereignisse bzw. einer emotionalen Belastung.

Körperliche Untersuchung:

Nach anfänglicher Zustimmung lehnte … ein Entkleiden vollständig ab, daraufhin wurde auf eine körperliche Untersuchung zunächst verzichtet.

Verlauf und empfohlene Maßnahmen:

Wir berieten die Kindesmutter dahingehend, daß die von … dargestellten Ereignisse absolut glaubwürdig erscheinen. Daraufhin empfahlen wir der Kindesmutter umgehend die Benachrichtigung der für die Aufsicht der Kindertagesstätten zuständigen Abteilung im Jugendamt Kreuzberg. Außerdem empfahlen wir, rechtliche Schritte gegen den betreffenden Erzieher einzuleiten. Da bis zu diesem Zeitpunkt kein Anhalt für eine stärkere Traumatisierung … zu erkennen war, entließen wir den Patienten mit der dringenden Aufforderung, sich bei einer Veränderung des psychischen Zustandes erneut in unserer Poliklinik vorzustellen.

…”

Am 7. September 1992 teilte … seiner Mutter wiederum einen derartigen Vorfall mit. Die Mutter ließ daraufhin am selben Tage eine Untersuchung durch die Kinderärztin Frau … durchführen. Im Befundsbericht heißt es unter anderem:

„…

Die Region um die Afteröffnung war wund in einem Umkreis von ca. vier cm. Oberhalb des Afters in diesem wunden Bezirk war eine Zone etwas bläulich schimmernd wie ein schwaches Haematom (Bluterguss), etwa 2 cm im Durchmesser. Eindeutige Haematome fanden sich am Gesäss beiderseits seitlich zur Hüfte hin, und zwar links drei Stellen, rechts zwei. Diese Haematome hatten einen Durchmesser von 1,0 cm bis maximal 1,5 cm. Bei Beführung schienen diese Stellen nicht zu schmerzen. Auch bei der rectalen Untersuchung, bei der kein abnormer Befund festzustellen war, gab … keine Schmerzen an. Er entleerte hier noch reichliche Mengen weichen Stuhls, der unauffällig aussah. Schleim, Blut oder eine Flüssigkeit wie nach einem Einlauf waren nicht zu erkennen.

…”

In einem Schreiben vom 13. November 1992 teilte die Freie Universität Berlin, Universitätsklinikum Rudolf Virchow, der Kindesmutter folgendes mit:

„…

wie ich aus einem Telefongespräch mit Ihnen am 11.11.1992 erfahren habe, sind bis zu diesem Zeitpunkt keine Maßnahmen ergriffen worden, die eine Weiterbeschäftigung des von … belasteten Erziehers in der Kindertagesstätte … Berlin … verhindert ha...

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Deutsches Anwalt Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge