rechtskräftig

 

Entscheidungsstichwort (Thema)

Anspruch auf Arbeitszeitreduzierung für weibliche Beschäftigte im öffentlichen Dienst des Landes Berlin

 

Leitsatz (amtlich)

1. § 10 Abs. 1 LGG, wonach das Interesse der Dienstkräfte an flexibler, auf die individuellen Bedürfnisse zugeschnittener Gestaltung der Arbeitszeit berücksichtigt werden soll und familienfreundliche Arbeitszeiten ermöglicht werden sollen, ist nicht als politischer Programmsatz zu verstehen. Aus der Regelung kann sich vielmehr ein individueller Anspruch einer Beschäftigten des öffentlichen Dienstes auf Arbeitszeitreduzierung ergeben. Ob und in welchem Umfang ein derartiger Anspruch konkret besteht, ergibt sich aus der Abwägung der Interessen der Dienstkraft einerseits mit den dienstlichen Belangen andererseits.

2. Besteht ein Anspruch auf Arbeitszeitreduzierung nach § 10 Abs. 1 LGG, kann der öffentliche Arbeitgeber nicht geltend machen, seine Organisationsbefugnis werde eingeschränkt. Hingegen ist in diesem Fall durch Einrichtung einer Teilzeitstelle dem Anspruch zu entsprechen.

3. § 10 Abs. 3 LGG normiert die Möglichkeit der Arbeitszeitreduzierung zur Betreuung von Kindern und pflegebedürftigen Angehörigen auch für gehobene und Leitungspositionen. Deswegen kann der öffentliche Arbeitgeber dem Begehren auf Arbeitszeitreduzierung in Leitungspositionen nicht allein damit begegnen, die Leitungsposition erfordere die volle Dienstleistung. Dienstliche Belange, welcher der Arbeitszeitreduzierung in einer Leitungsposition entgegentreten, können sich aus der konkreten Aufgabenstellung der Beschäftigten ergeben. Dies ist vom Arbeitgeber im einzelnen darzulegen und ggf zu beweisen.

 

Normenkette

LGG § 10

 

Verfahrensgang

ArbG Berlin (Urteil vom 06.01.1994; Aktenzeichen 91 Ca 26.137/93)

 

Tenor

Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 6. Januar 1994 – 91 Ca 26.137/93 – abgeändert:

  1. Es wird festgestellt, daß das beklagte Land verpflichtet ist, dem Antrag der Klägerin auf Teilzeitbeschäftigung im Umfange von 30 Stunden wöchentlich für die Dauer bis zum 30.9.1994 stattzugeben.
  2. Die Kosten des Rechtsstreits trägt das beklagte Land.
 

Tatbestand

Die Parteien streiten um den Anspruch der Klägerin, ihre wöchentliche Arbeitszeit auf 30 Stunden zu reduzieren.

Die Klägerin ist seit dem 17. August 1987 beim Beklagten, seit dem 15. August 1991 als Leiterin einer Kindertagesstätte im Bezirk … von Berlin, in Vollzeitbeschäftigung tätig. Auf das Vertragsverhältnis finden die Regelungen des Bundesangestelltentarifvertrages Anwendung. Die Klägerin ist in Vgr. IV b der Anlage 1 a zum BAT eingruppiert.

Unter Berufung auf § 10 Abs. 3 Landesantidiskriminierungsgesetz – LADG – (heute: Landesgleichstellungsgesetz – LGG –) beantragte die Klägerin beim Bezirksamt … von Berlin mit Schreiben vom 25. Januar 1993 die Reduzierung ihrer Arbeitszeit auf wöchentlich 30 Stunden, wobei sie ihren Antrag mit weiterem Schreiben vom 21. Februar 1993 näher erläuterte. Dem Antrag der Klägerin wurde nicht entsprochen. Hierüber wurde sie mit Schreiben des Bezirksamtes vom 18. Mai 1993 und weiterem Schreiben vom 23. August 1993 informiert. Zur Begründung führte das Bezirksamt an, eine Reduzierung der Arbeitszeit von Leitungspersonal in Kindertagesstätten sei aus dienstlicher Sicht nicht zu vertreten, da pädagogische Belange entgegenstünden. Die Klägerin müsse durch ihre Präsenz während der Regelarbeitszeit die Gewähr dafür bieten, daß das pädagogische Angebot den Eltern und Kindern uneingeschränkt zur Verfügung stünde. Hinzu komme die Notwendigkeit des schnellen Austauschs von Informationen zwischen der Leiterin und der Stellvertreterin einer Kindertagesstätte.

Im Gegensatz zu einer Vielzahl von Bezirken im Lande Berlin sind in dem Bezirk … von Berlin auf der Leitungsebene von Kindertagesstätten Teilzeitstellen nicht vorhanden.

Die Klägerin ist Mutter einer 14jährigen Tochter aus erster Ehe. Die Tochter leidet seit Geburt an schwerer Neurodermitis, die ständig ärztlich behandelt wird. Die Praxisräume des behandelnden Arztes sind mit öffentlichen Verkehrsmitteln erschwert erreichbar. Deswegen fahrt die Klägerin ihre Tochter mit dem Auto zum Arzt. Seit dem 30. Juli 1993 ist die Klägerin erneut verheiratet. Der Sohn ihres Ehemannes im Alter von 14 Jahren lebt seitdem ebenfalls im Haushalt der Klägerin. Weiter betreut die Klägerin ihre 86jährige Mutter, welche in ihrer eigenen Wohnung lebt. Sie sucht fast täglich ihre Mutter auf, geht für sie einkaufen, kocht das Essen, wäscht die Wäsche und erledigt die sonstigen Dinge des alltäglichen Lebens.

Mit ihrer beim Arbeitsgericht am 1. Oktober 1993 eingegangenen Klage hat die Klägerin die Reduzierung ihrer Arbeitszeit auf 30 Stunden bis zum 30. September 1994 begehrt.

Sie hat die Auffassung vertreten, ihr Anspruch auf Reduzierung der Arbeitszeit folge aus § 10 LGG. Ihr Interesse an der Verkürzung der Arbeitszeit ergebe sich aus ihrer persönlichen Situation. Dem stehe gemäß § 10 Abs. 3 LGG ihre Tätigkeit als Leiterin einer Kindertagesstätte n...

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