Entscheidungsstichwort (Thema)

Auflösung und Abwicklung bzw. Überführung einer staatlichen Einrichtung der ehemaligen DDR

 

Leitsatz (amtlich)

1. Die Frage, ob eine staatliche Einrichtung der ehemaligen DDR aufgelöst und abgewickelt oder auf die Bundesrepublik Deutschland überführt worden ist, ist nicht nach einer ausdrücklichen bzw. verlautbarten Auflösungs- oder Überführungsentscheidung des zuständigen Bundesministeriums, sondern allein auf der Basis der realen Verhältnisse zu beantworten.

2. Allein die Übernahme einer beträchtlichen Anzahl von Arbeitnehmern einer staatlichen Einrichtung der ehemaligen DDR in die zuständige Einrichtung der Bundesrepublik Deutschland spricht bei Zentralbehörden des Zentral Staates noch nicht für eine Überführung dieser Zentralbehörde (hier: Ministerium für Wirtschaft der ehemaligen DDR).

3. Die Abteilungen und Referate eines Ministeriums sind nicht als Teileinrichtungen im Sinne von Art. 13 Abs. 2 G-EV anzusehen.

4. Die „Auflösungs- und Abwicklungsentscheidung” ist kein Verwaltungsakt, der den betroffenen Arbeitnehmern nach § 41 VerwVerfG bekanntgemacht werden müßte. Eine solche Qualifikation dieser Entscheidung folgt auch nicht nach § 31 Abs. 1 BVerfGG aus der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 24. April 1991 – 1 BvR 1341/90 –.

5. Es spricht viel dafür, daß sich die für die Auflösung oder Überführung zuständige Behörde gegenüber den betroffenen Arbeitnehmern solange nicht auf den Eintritt des Wartestandes bzw. des Ruhens des Arbeitsverhältnisses berufen kann, wie sie – die Behörde – diesen – den Arbeitnehmern – weder die Auflösungsentscheidung noch das Ruhen des Arbeitsverhältnisses mitgeteilt hat bzw. ihnen die Kenntnisnahme ermöglicht hat.

 

Normenkette

G-EV Art. 13 Abs. 2, Art. 20 Abs. 1; G-EV Anlage 1 Kap. XIX Sachgebiet A Abschn. III Nr. 1 Abs. 2; VerwVerfG § 35; VerwVerfG § 41

 

Verfahrensgang

ArbG Berlin (Urteil vom 03.06.1991; Aktenzeichen 63 Ca 9710/90)

 

Tenor

I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 3. Juni 1991 – 63 Ca 9710/90 – geändert:

  1. Die Klage wird abgewiesen.
  2. Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.

II. Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten darüber, ob das Arbeitsverhältnis der Klägerin gemäß Artikel 20, Anlage I, Kapitel XIX, Sachgebiet A Abschnitt III Nr. 1 Abs. 2 des Gesetzes zum Einigungsvertrag (im folgenden Nr. 1 Abs. 2 … G-EV) ab 1. Januar 1991 geruht und mit Wirkung zum 30. Juni 1991 geendet hat. Diesem Streit liegt der folgende Sachverhalt zugrunde:

Die Klägerin, eine gelernte Sekretärin, war seit dem 1. Mai 1986 im Staatsapparat der ehemaligen DDR, zuletzt als Mitarbeiterin (Sachbearbeiterin) im Ministerium für Wirtschaft in der Abteilung IV (Industrie/Umstrukturierung), Referat IV B 2 (Textil, Bekleidung) tätig. Sie wurde als technische Mitarbeiterin für die EDV-Dokumentation eingesetzt. Unmittelbar vor dem 3. Oktober 1990 waren in dem genannten Referat einschließlich der Klägerin und des Referatsleiters noch zehn Mitarbeiter tätig.

Die Klägerin ist 1964 geboren, verheiratet und hat zwei Kinder. Ihr letztes Bruttogehalt betrug monatlich ca. 1.750,– DM.

Ab April 1990 wurde der organisatorische Aufbau des Ministeriums für Wirtschaft der ehemaligen DDR fortlaufend nach Beratungen mit Beamten des Bundesministeriums für Wirtschaft entsprechend dem Organisationsplan dieses Ministeriums gegliedert. Am Schluß dieser Veränderungen entsprach die Organisation des Ministeriums für Wirtschaft der ehemaligen DDR nahezu wörtlich dem Organisationsplan des Bundesministeriums für Wirtschaft.

Während es auf dem Gebiet der ehemaligen DDR bis April 1990 noch sieben unterschiedliche für Wirtschaft zuständige Ministerien gegeben hatte, existierten von April 1990 bis zum 2. Oktober 1990 lediglich noch das Ministerium für Wirtschaft und das Ministerium für Handel und Tourismus. Während in sämtlichen Wirtschaftsministerien der ehemaligen DDR im April 1990 noch ca. 5.000 Mitarbeiter beschäftigt waren, belief sich die Zahl der Mitarbeiter per 2. Oktober 1990 im Ministerium für Wirtschaft auf ca. 3.050 und im Ministerium für Handel und Tourismus auf ca. 300. Unter den 3.050 Mitarbeitern befanden sich 1.100 Mitarbeiter, die aus den bis April 1990 aufgelösten Ministerien stammten und personalmäßig im Ministerium für Wirtschaft geführt, in der Regel jedoch nicht mehr beschäftigt wurden.

Ab Mitte August 1990 bereitete das Bundesministerium für Wirtschaft mit dem Ministerium für Wirtschaft der ehemaligen DDR die Auflösung und Abwicklung der im Ministerium für Wirtschaft der ehemaligen DDR bestehenden Ressorts vor. Ende August 1990 wurde den Mitarbeitern des Ministeriums für Wirtschaft der ehemaligen DDR in Abstimmung mit dem Bundesministerium für Wirtschaft mitgeteilt, daß es mit dem Beitritt der ehemaligen DDR zur Bundesrepublik Deutschland nur noch ein erweitertes einheitliches Bundesministerium für Wirtschaft geben werde.

Unter dem 22. August 1990 schrieb der Staatssekretär des Ministeriums für Wirtschaft der ehe...

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Deutsches Anwalt Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge