Entscheidungsstichwort (Thema)

Arbeitgeber. Betriebsrat. Kündigungsverzicht vor Abschluss von Interessenausgleich und Sozialplan

 

Leitsatz (amtlich)

Erklärt der Arbeitgeber mehrfach (gegenüber dem Betriebsrat, dem Verfahrensbevollmächtigten des Betriebsrats, in einem Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zur Verhinderung von Kündigungen), er werde keine Kündigungen vor Abschluss eines Interessenausgleichs und Sozialplans aussprechen, ist eine Kündigung unwirksam, die entgegen der Zusicherung vor Abschluss von Interessenausgleich und Sozialplan ausgesprochen wird.

 

Normenkette

BetrVG § 102 Abs. 1

 

Verfahrensgang

ArbG Berlin (Urteil vom 11.04.2002; Aktenzeichen 66 Ca 19476/01)

 

Nachgehend

BAG (Urteil vom 27.11.2003; Aktenzeichen 2 AZR 121/03)

 

Tenor

I. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 11. April 2002 – 66 Ca 19476/01 – wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

II. Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten in der Berufungsinstanz noch um die Wirksamkeit einer von der Beklagten mit Schreiben vom 28. Juni 2001 zum 31. März 2002 ausgesprochenen fristgemäßen Kündigung aus betriebsbedingten Gründen. Der Streit der Parteien in der Berufungsinstanz beschränkt sich hierbei auf die Frage, ob der im Betrieb der Beklagten existierende Betriebsrat ordnungsgemäß zur Kündigung der Klägerin angehört wurde.

Die Klägerin war seit dem 1. Juli 1975 bei der Beklagten als Stationsschwester beschäftigt. Ihr Arbeitsverhältnis endete jedenfalls aufgrund einer weiteren Kündigung der Beklagten mit Schreiben vom 25. September 2001 am 30. Juni 2002.

Die Beklagte betrieb eine Privatklinik in der Rechtsform der offenen Handelsgesellschaft. Im Juni 2001 waren bei ihr regelmäßig 67 Arbeitnehmer tätig. Ein fünfköpfiger Betriebsrat war gebildet.

Die Klinik der Beklagten war im Jahre 1999 nicht mehr in den Krankenhausplan des Landes Berlin aufgenommen worden. Allein mit Rücksicht auf die Zusicherung der Schließung des Krankenhauses zum 31. Dezember 2001 war es der Beklagten möglich, mit den Krankenkassen für die Jahre 2000 und 2001 eine Pflegesatzvereinbarung abzuschließen. Am 1. Juni 2001 beschlossen die Gesellschafter der Beklagten die Schließung der Klinik zum 31. Dezember 2001. Dass dies geschah, ist zwischen den Parteien unstreitig. Der letzte Patient verließ am 21. Dezember 2001 das Haus.

Mit Rücksicht auf die Schließung des Krankenhauses wurde von den Betriebsparteien ein Einigungsstellenverfahren betreffend den Abschluss eines Interessenausgleichs und eines Sozialplanes durchgeführt. Mit Schreiben vom 14. Juni 2001 wandte sich der ehemalige Prozessbevollmächtigte der Beklagten, der als Beisitzer der Arbeitgeberseite in der Einigungsstelle tätig wurde, an den Prozessbevollmächtigten der Klägerin, der seinerseits als Beisitzer des Betriebsrates in der Einigungsstelle fungierte, und teilte unter anderem mit:

„Wegen der Notwendigkeit, die Kündigungen der Arbeitsverhältnisse spätestens bis zum 30.6.2001 zu erklären, stehen die Verhandlungen vor der Einigungsstelle bedauerlicherweise unter erheblichem Zeitdruck. Ich hoffe, dass wir schnell zu einer für beide Seiten annehmbaren Lösung kommen werden. Es ist beabsichtigt, die vor Ausspruch der Kündigungen erforderlichen Anhörungen des Betriebsrats auch schon vor Abschluss eines Interessenausgleichs und Sozialplans durchzuführen, wobei ich namens und in Vollmacht der Gesellschafter der …-Klinik ausdrücklich versichere, dass Kündigungen erst und nur dann ausgesprochen werden, wenn in der Einigungsstelle eine Einigung über den Interessenausgleich und Sozialplan erzielt worden ist. Der Arbeitgeber wird auf diese Weise die betriebsverfassungsrechtlichen Rechte des Betriebsrats beachten. Ich gehe davon aus, dass Einwände gegen diese Verfahrensweise nicht bestehen.”

Am 20. Juni 2001 übergab die Beklagte dem Betriebsrat Anhörungsschreiben zur beabsichtigten Kündigung sämtlicher Arbeitnehmer, im Falle der Klägerin zum vorgesehenen Kündigungstermin am 31. März 2002. Auf den Inhalt des Anhörungsschreibens (Kopie Bl. 84 f. d.A.) wird verwiesen. Zugleich mit der Übergabe der Anhörungsschreiben zu den Kündigungen der Beschäftigten wurde dem Betriebsrat ein Schreiben des ehemaligen Prozessbevollmächtigten der Beklagten vom 19. Juni 2001 übergeben. Dieses lautet:

„Sehr geehrte Frau W.,

wie Sie wissen, vertreten wir die Offene Handelsgesellschaft …-Klinik …, in deren Auftrag wir Ihnen 67 Anhörungen (doppelt) zu beabsichtigten Kündigungen der Arbeitsverhältnisse der Arbeitnehmer der …-Klinik überreichen. Die Gesellschafter der …-Klinik haben am 1.6.2001 beschlossen, die …-Klinik zum 31.12.2001 zu schließen.

Auch Ihnen und dem gesamten Betriebsrat gegenüber versichern wir namens und in Vollmacht unserer Mandantin, dass die beabsichtigten Kündigungen erst und nur dann ausgesprochen werden, wenn in der Einigungsstelle eine Einigung über den Interessenausgleich und Sozialplan erzielt worden ist. Diese Versicherung haben wir Herrn Rechtsanwalt S. gegenüber bereits i...

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