Entscheidungsstichwort (Thema)

Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall im Falle einer auf das Gesetz verweisenden Tarifnorm. Deklaratorischer Charakter einer auf das Gesetz verweisenden tariflichen Regelung zur Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall

 

Leitsatz (amtlich)

1. Verweist eine Tarifnorm zur Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall auf die gesetzlichen Vorschriften, so handelt es sich auch dann um eine sogenannte neutrale Regelung ohne eigenständige tarifliche Bedeutung mit rein deklaratorischem Charakter, wenn die Tarifvertragsparteien die Fundstelle des Gesetzes im Bundesgesetzblatt hinzufügen, es sei denn, es liegen Anhaltspunkte vor, die dessenungeachtet für einen konstitutiven Regelungswillen der Tarifvertragsparteien sprechen, was aber im Tarifvertrag seinen Niederschlag gefunden haben muß.

Danach steht den Angestellten und den gewerblichen Arbeitnehmern gem. § 9 Nr. 1 und 2 des Manteltarifvertrages für das Bäckerhandwerk Berlin vom 07.03.1991 seit dem 01. Oktober 1996 ein Entgeltfortzahlungsanspruch lediglich in der in § 4 Abs. 1 Satz 1 EFZG festgeschriebenen Höhe zu.

2. Es bleibt offen, ob der bisherigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, wonach auch im Falle der Aufnahme der gesetzlichen Regelung in die Tarifnorm (Wiederholung des Gesetzestextes) im Zweifel von einer deklaratorischen Tarifbestimmung auszugehen ist (etwa BAG 2 AZR 1028/94 vom 05.10.1995, NZA 96 539), für den Bereich der Regelung über die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall zu folgen ist.

 

Normenkette

EFZG § 4 Abs. 1; MTV für das Bäckerhandwerk Berlin vom 07.03.1991 § 9 Nrn. 1-2

 

Verfahrensgang

ArbG Berlin (Urteil vom 04.06.1997; Aktenzeichen 44 Ca 13468/97)

 

Nachgehend

BAG (Urteil vom 26.08.1998; Aktenzeichen 5 AZR 727/97)

 

Tenor

I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 04. Juni 1997 – 44 Ca 13468/97 – abgeändert:

  1. Die Klage wird abgewiesen.
  2. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin.

II. Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten darüber, ob der Klägerin ein tariflicher Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall zusteht, der der Höhe nach über die seit dem 01. Oktober 1996 geltende gesetzliche Neuregelung des § 4 Abs. 1 Satz 1 EFZG hinausgeht.

Die Klägerin ist bei der Beklagten als Verkäuferin seit dem 01. Juli 1991 beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien findet kraft beiderseitiger Tarifbindung der Manteltarifvertrag für das Bäckerhandwerk Berlin (im folgenden abgekürzt: MTV-Bäcker) vom 07. März 1991 Anwendung. Darin wird zur Fortzahlung des Arbeitsentgelts bei krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit folgendes geregelt:

§ 9

Entschädigungsrechte und Pflichten bei Arbeitsversäumnis

  1. Es gelten die Bestimmungen des Gesetzes über die Fortzahlung des Arbeitsentgeltes im Krankheitsfall vom 27. Juli 1969 (BGBl. I S. 946) und der Änderung des Gesetzes vom 18.12.1975 (BGBl. I S. 3091).
  2. Für Arbeitnehmer im Angestelltenverhältnis gelten die gesetzlichen Bestimmungen über die Fortzahlung des Gehaltes in Krankheitsfällen bis zur Dauer von 6 Wochen (§ 63 HGB und § 133 C GewO) und über sonstige Verhinderungen an der Dienstleistung (§ 616 BGB).
  3. Bei einem unverschuldeten Betriebsunfall, der von der Berufsgenossenschaft als solcher anerkannt wurde, wird ein Zuschuß zum Krankengeld bis zu 100 % des Nettolohnes ab der 7. bis 10. Arbeitsunfähigkeitswoche ohne Rücksicht auf die Dauer der Betriebszugehörigkeit gezahlt. Für Auszubildende gelten die gesetzlichen Bestimmungen.
  4. Alle Arbeitnehmer haben bei Erkrankung ihre Arbeitsunfähigkeit unverzüglich, d.h. ohne schuldhaftes Verzögern der Betriebsleitung mitzuteilen. Außerdem ist dem Arbeitgeber innerhalb von 3 Werktagen eine ärztliche Bescheinigung über die Arbeitsunfähigkeit vorzulegen.

In einer Protokollnotiz vom 22. August 1991 formulierten die Tarifvertragsparteien § 9 Nr. 1 MTV-Bäcker wie folgt neu:

§ 9

Entschädigungsrechte und Pflichten bei Arbeitsversäumnis Nummer 1. wird wie folgt formuliert:

Es gelten die Bestimmungen des Gesetzes über die Fortzahlung des Arbeitsentgeltes im Krankheitsfalle vom 27. Juli 1969 (BGBl. I S. 946) zuletzt geändert durch Gesetz vom 20. Dezember 1960 (BGBl. I S. 2477) mit Maßgaben für das Gebiet der ehem. DDR durch Anlage I Kapitel VIII Sachgebiet A Abschnitt III Nr. 4 des Einigungsvertrages vom 31.8.1990 (BGBl. II S. 88) (BGBl. III 800-19-2).

Der MTV-Bäcker wurde zum 31. Dezember 1994 – nach Angaben der Beklagten seitens der Gewerkschaft – ordentlich gekündigt. Zu einem Neuabschluß ist es bislang nicht gekommen.

Die Klägerin war in der Zeit vom 07. Januar bis zum 29. Januar 1997, vom 04. Februar bis zum 28. Februar 1997 und vom 10. März bis zum 27. März 1997 arbeitsunfähig krank. Die Beklagte leistete ihr für diese Zeiträume eine Arbeitsvergütung, die der Höhe nach nur 80 % des mit der Klägerin vereinbarten Arbeitsentgeltes ausmachte. Die Beklagte wandte dabei die Regelung des § 4 Abs. 1 Satz 1 EFZG in der Fassung des „Arbeitsrechtlichen Gesetzes zur Förderung von Wachstum und Beschäftigung” (Arbeitsre...

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