Entscheidungsstichwort (Thema)

Verhaltensbedingte Kündigung aufgrund eines lang zurückliegenden Vorfalls

 

Leitsatz (amtlich)

Schwerwiegende Verfehlungen des Arbeitnehmers (Diebstahl) sind kündigungsrechtlich ohne Belang, wenn sie das Arbeitsverhältnis im Zeitpunkt der Kündigung nicht mehr hinreichend beeinträchtigen. Eine verhaltensbedingte Kündigung kann daher sozial ungerechtfertigt sein, wenn der Arbeitgeber zunächst das Arbeitsverhältnis in Kenntnis des Kündigungssachverhalts längere Zeit (hier: 1 1/2 Jahre) unverändert fortsetzt.

 

Normenkette

KSchG § 1; BGB § 242

 

Verfahrensgang

ArbG Berlin (Teilurteil vom 08.11.2000; Aktenzeichen 36 Ca 18918/00)

 

Tenor

I. Die Berufung der Beklagten gegen das Teilurteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 8. November 2000 – 36 Ca 18918/00 – wird unter Einschluss des Auflösungsantrages der Beklagten auf ihre Kosten zurückgewiesen.

II. Die Revision der Beklagten wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten in dem Berufungsverfahren vor allem über die Wirksamkeit einer ordentlichen Kündigung ihres Arbeitsverhältnisses sowie über einen Auflösungsantrag.

Die Beklagte betreibt eine Spielbank. Sie beschäftigte den am 30. Dezember 1951 geborenen Kläger, der verheiratet ist und für ein Kind zu sorgen hat, seit dem 1. Januar 1977 zuletzt als Sous-Chef gegen eine monatliche Bruttovergütung von durchschnittlich 10.000,– DM.

Der Zeuge S. ein Mitarbeiter der Beklagten, teilte dem Saalchef der Beklagten … am 18. Dezember 1998 mit, er habe beobachtet, wie der als Croupier eingesetzte Kläger einem Gast Jetons verdeckt zugeschoben habe. Herr L. unterrichtete die damalige Geschäftsleitung von dieser Mitteilung, die daraufhin entschied, den Kläger beobachten zu lassen. Die Überwachung des Klägers führte zu keinem Ergebnis. Die Beklagte erstattete daraufhin anlässlich des von dem Zeugen S. angeblich beobachteten Geschehens Strafanzeige gegen unbekannt; eine Anhörung des Zeugen S. durch die Beklagte erfolgte nicht. Das Ermittlungsverfahren wurde zunächst eingestellt, nachdem der Zeuge S. dem ermittelnden Beamten in einem ungefähr sechs Monate nach dem Vorfall geführten Telefongespräch mitteilte, er wolle sich nicht einmischen und nicht aussagen. Die Beklagte verfolgte die Angelegenheit daraufhin zunächst nicht weiter und setzte das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger unverändert fort. Der Kläger wurde von den angeblichen Beobachtungen des Zeugen S. nicht unterrichtet.

Der Kläger vertrat am 29. Mai 2000 zwischen 21.15 Uhr und 21.30 Uhr einen Tisch-Chef. Während dieser Zeit soll ein Croupier einem Gast Jetons zugesteckt haben, wobei die Beklagte den Kläger verdächtigt, er sei an diesem Vorgang beteiligt gewesen. Eine zunächst erfolgte Suspendierung des Klägers wurde nach dessen Anhörung zunächst aufgehoben.

Der Zeuge S. erklärte sich im Anschluss daran bereit, nunmehr zu dem angeblichen Vorfall vom 18. Dezember 1998 auszusagen.

Die Beklagte hörte den in ihrem Betrieb gebildeten Betriebsrat mit am 22. Juni 2000 überreichten Anhörungsschreiben (Kopie Bl. 23 ff. d. A.) zu einer beabsichtigten außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses des Klägers an. Zwischen den Parteien ist streitig, ob der Betriebsrat sich hierzu ausdrücklich geäußert hat.

Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis durch Schreiben vom 27. Juni 2000 fristlos sowie durch Schreiben vom 29. Juni 2000, das der Kläger am gleichen Tag erhielt, hilfsweise fristgemäß zum 31. Oktober 2000.

Mit seiner der Beklagten am 20. Juli 2000 zugestellten Klage hat sich der Kläger gegen die ausgesprochenen Kündigungen gewandt sowie die Verurteilung der Beklagten zur vorläufigen Weiterbeschäftigung und – im Wege der Klageerweiterung – zur Zahlung von Vergütung begehrt. Er hat die Berechtigung der gegen ihn erhobenen Vorwürfe bestritten. Zu keiner Zeit habe er Jetons entwendet oder bei einem derartigen Verhalten anderer Mitarbeiter der Beklagten mitgewirkt. An den Vorfall vom 18. Dezember 1998 könne er sich nicht erinnern. Der Beklagte sei nach Treu und Glauben gehindert, dieses Geschehen, das sie zunächst nicht vollständig aufgeklärt habe, nunmehr zum Anlass für eine Kündigung zu nehmen. Hierdurch sei ihm jede Möglichkeit der sachgerechten Verteidigung genommen. Am 29. Mai 2000 hätten es möglicherweise der Croupier und der Gast ausgenutzt, dass er seine Aufmerksamkeit einer anderen Mitarbeiterin bzw. einem anderen Gast zugewendet habe. Der Kläger hat ferner bestritten, dass die Beklagte den Betriebsrat vor Ausspruch der Kündigungen ordnungsgemäß angehört habe.

Die Beklagte hat demgegenüber die Kündigungen für wirksam gehalten. Sie hat behauptet, der Kläger habe am 18. Dezember 1998 einem Gast bei einem Wechselvorgang Jetons zugesteckt; jedenfalls bestehe der dringende Verdacht einer derartigen Tat. Wegen der Einzelheiten des diesbezüglichen Vortrags der Beklagten wird auf Bl. 18, 4. Absatz bis Bl. 19, 3. Absatz der Akte Bezug genommen. Die Beklagte hat sich für berechtigt gehalten, diesen Vorfall erst zum Anlass für eine Kündigung ...

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