Entscheidungsstichwort (Thema)

Eigenständigkeit einer tariflichen Entgeltfortzahlungsregelung. Einfluß der Änderung des § 4 EntgFZG auf 80 %. unterschiedliche tarifliche Regelung für Arbeiter und Angestellte. Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 ArbGG. verfassungskonforme Auslegung des Tarifrechts

 

Leitsatz (amtlich)

Enthält eine Tarif Vorschrift für Arbeiter keine gegenüber § 4 EntgFG eigenständige Regelung, ist dies aber bei der Tarifvorschrift für Angestellte der Fall, verstößt diese unterschiedliche Behandlung gegen den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG.

Die Tarifnorm für Arbeiter ist jedoch nicht nichtig, sondern kann verfassungskonform dahin ausgelegt werden, daß sie nicht zu einer Ungleichbehandlung der Arbeiter gegenüber den Angestellten führt.

 

Normenkette

EntgeltFZG § 4; GG Art. 3 Abs. 1; MTV Druckindustrie-Arbeiter-Fassung 19.04.1996 § 12; MTV Berliner Druckindustrie-Angestellte – Fassung 30.11.1989 § 15

 

Verfahrensgang

ArbG Berlin (Urteil vom 30.04.1997; Aktenzeichen 35 Ca 50730/96)

 

Nachgehend

BAG (Urteil vom 26.08.1998; Aktenzeichen 5 AZR 740/97)

 

Tenor

I. Auf die Berufung des Klägers wird das am 30. April 1997 verkündete Urteil des Arbeitsgerichts Berlin – 35 Ca 50.730/96 – abgeändert:

Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 767,18 DM brutto (siebenhundertsiebenundsechzig 18/100) nebst 4 % Zinsen aus dem sich daraus ergebenden Nettobetrag seit dem 1. November 1996 zu zahlen.

II. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.

III. Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über einen Anspruch des Klägers auf ungekürzte Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall.

Der Kläger ist bei der Beklagten als Rotationshelfer beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis finden kraft beiderseitiger Tarifbindung die Tarifverträge für die gewerblichen Arbeitnehmer der Druckindustrie Anwendung.

Der Kläger war vom 1. bis 25.10.1996 arbeitsunfähig krank. Für diese Zeit leistete die Beklagte Entgeltfortzahlung in Höhe von 80 % des Arbeitsentgelts nach § 4 EntgeltFZG.

Im fraglichen Zeitpunkt galt der Manteltarifvertrag für die gewerblichen Arbeitnehmer der Druckindustrie im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland (einschließlich Berlin-West) – im folgenden MTV – vom 10. März 1989 i.d.F. vom 19. April 1996, abgeschlossen vom Bundesverband Druck e. V. und der Industriegewerkschaft Medien. Druck und Papier, Publizistik und Kunst, Hauptvorstand. § 12 Ziff. 1 und 2 MTV lauten:

  1. „Die Lohnfortzahlung im Falle von Erkrankungen und Unfällen, bei Kuren und Heilverfahren sowie bei solchen Schonungszeiten, die mit Arbeitsunfähigkeit verbunden sind, richtet sich nach dem Lohnfortzahlungsgesetz in seiner jeweiligen Fassung.
  2. Als Arbeitsentgelt im Sinne der Ziffer 1 gilt abweichend von § 2 Abs. 1 aufgrund von § 2 Abs. 3 des Lohnfortzahlungsgesetzes der Durchschnittsverdienst der drei abgerechneten Lohnabrechnungsmonate oder der 13 abgerechneten Lohnwochen (Berechnungszeitraum), die der Lohnwoche, in der die Arbeitsunfähigkeit beginnt, vorauszugehen. Für die Ermittlung des Durchschnittsverdienstes gelten die Durchführungsbestimmung (6) zu § 10 ohne Beispiele 1 und 2 und ohne den letzten Absatz sowie die Durchführungsbestimmung (8) zu § 10. Zur Ermittlung des täglichen Arbeitsentgeltes wird der festgestellte Durchschnittsverdienst durch 65 geteilt.”

Mit Wirkung ab 01.01.1997 haben § 12 Ziff. 1 und Ziff. 2 Satz 1 MTV folgende Fassung erhalten:

  1. „Im Falle von Erkrankungen und Unfällen, bei Kuren und Heilverfahren sowie bei solchen Schonungszeiten, die mit Arbeitsunfähigkeit verbunden sind, wird das Arbeitsentgelt bis zur Dauer von sechs Wochen unabhängig von § 4 Abs. 1 Satz 1 des Entgeltfortzahlungsgesetzes fortgezahlt.
  2. Als Arbeitsentgelt im Sinne der Ziff. 1 gilt abweichend von § 4 Abs. 1 aufgrund von § 4 Abs. 4 EFZG der Durchschnittsverdienst der drei abgerechneten Lohnabrechnungsmonate oder der 13 abgerechneten Lohnwochen (Berechnungszeitraum), die der Lohnwoche, in der die Arbeitsunfähigkeit beginnt, vorausgehen. Es kann auch ein längerer Zeitraum bis zu einem Jahr zugrundegelegt werden, wenn hierüber mit dem Betriebsrat eine Vereinbarung erfolgt.”

Im streitbefangenen Zeitraum galt ferner der Manteltarifvertrag für kaufmännische und technische Angestellte in der Druckindustrie i.d.F. vom 30. November 1989, abgeschlossen vom Verband Berliner Druckindustrie e. V. und der Industriegewerkschaft Medien, Druck und Papier, Publizistik und Kunst. Landesbezirk Berlin. Dort heißt es in § 15:

  1. „Bei Erkrankung ist dem Arbeitgeber unverzüglich Mitteilung zu machen. Entsprechendes gilt bei Beantragung oder Bewilligung eines Heilverfahrens durch einen Sozialversicherungsträger oder ein Versorgungsamt.

    Der erkrankte Angestellte soll innerhalb von 3 Tagen die ärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vorlegen.

  2. Bei unverschuldeter Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit sowie während eines von einem Sozialversicherungsträger oder Versorgungsamt bewilligten Heilverfahren einschließlich einer anschließenden ärztlich verordneten Schonungszeit ist dem Angestellten das...

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