Entscheidungsstichwort (Thema)

Änderungskündigung. Schwerbehindertenschutz auch bei nach der Kündigung mitgeteilter Schwerbehinderung. Weiterbeschäftigung

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Die rechtlichen Wirkungen der Schwerbehinderteneigenschaften treten, obwohl der Feststellungsbescheid des Versorgungsamts keine rechtsbegründende Wirkung hat, im Fall des Sonderkündigungsschutzes nicht ohne weiteres ein, sondern es ist Voraussetzung, dass vor Zugang der Kündigung ein Bescheid über die Schwerbehinderteneigenschaft ergangen ist oder jedenfalls ein entsprechender Antrag gestellt ist. Weiß der Arbeitgeber hiervon nichts, muss sich der Arbeitnehmer einen Monat nach Zugang der Kündigung auf das Feststellungsverfahren berufen.

2. Im Änderungskündigungsschutzverfahren gibt es bei einer Vorbehaltsannahme durch den Arbeitnehmer keinen allgemeinen Weiterbeschäftigungsanspruch.

 

Normenkette

BGB § 611; SGB IX § 85 ff.; KSchG § 2

 

Verfahrensgang

ArbG Berlin (Urteil vom 26.06.2002; Aktenzeichen 37 Ca 34790/01)

 

Tenor

1. Die Berufungen der Beklagten und der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 26. Juni 2002 – 37 Ca 34790/01 – werden zurückgewiesen.

2. Die Kosten der Berufung tragen die Klägerin zu 1/4 und die Beklagte zu 3/4 bei einem Streitwert von 8.000,– EUR.

3. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten um die Wirksamkeit einer Änderungskündigung und um die Weiterbeschäftigung der Klägerin zu den bisherigen Arbeitsbedingungen.

Die am 07.03.1940 geborene Klägerin ist bei der Beklagten, die regelmäßig mehr als fünf Arbeitnehmer beschäftigt, bzw. deren Rechtsvorgängern seit dem 01.05.1980 als Krankengymnastin angestellt. Kraft einzelvertraglicher Inbezugnahme gelten für das Arbeitsverhältnis die Arbeitsvertragsrichtlinien des D. Werkes – Innere Mission und Hilfswerk – der E. Kirche in Deutschland (AVR) in der jeweils gültigen Fassung. Danach gelten für die Kündigung eines Mitarbeiters nach einer Beschäftigungszeit von 15 Jahren, frühestens jedoch nach Vollendung des 40. Lebensjahres besondere Kündigungsbedingungen, unter anderem ist die ordentliche Kündigung grundsätzlich ausgeschlossen (vgl. §§ 30–32 AVR).

Auf Antrag der Klägerin, beim Versorgungsamt am 20.08.2001 eingegangen, stellte das Versorgungsamt rechtskräftig einen Grad der Behinderung von 50 mit Bescheid vom 28.03.2002 fest (vgl. dazu die Kopie des Bescheides Bl. 200 f. d. A.).

Mit Schreiben vom 29.11.2001, der Klägerin am 30.11.2001 zugegangen, sprach die Beklagte der Klägerin gegenüber eine Änderungskündigung zum 30.06.2001 aus. Inhalt des Änderungsangebots war eine Weiterbeschäftigung der Klägerin als Pflegehilfskraft unter Beibehaltung der bisherigen Vergütungsgruppe.

Mit Schreiben vom 12.01. im Original und per Fax nahm die Klägerin das Änderungsangebot unter dem Vorbehalt an, dass die Kündigung nicht sozial ungerechtfertigt sei, und teilte der Beklagten mit, dass sie schwerbehindert wäre und einen Antrag auf Zuerkennung der Schwerbehinderteneigenschaft gestellt hätte (vgl. dazu die Kopie des Schreibens Bl. 16–17 d. A.).

Mit Schreiben vom selben Tag, beim Arbeitsgericht Berlin am 12.12.2001 per Fax eingegangen, hat sich die Klägerin gegen die Änderungskündigung vom 29.11.2001 gewendet und ihre vorläufige Weiterbeschäftigung als Krankengymnastin verlangt.

Das Arbeitsgericht Berlin hat mit Urteil vom 26.06.2002 festgestellt, dass die Änderung der Arbeitsbedingungen durch die Änderungskündigung vom 29.11.2001 unwirksam ist, im Übrigen die Klage wegen der vorläufigen Weiterbeschäftigung abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, dass die Beklagte aufgrund der Regelung des § 30 Abs. 4 AVR der Klägerin lediglich eine ordentliche Änderungskündigung gemäß § 31 AVR oder eine außerordentliche Änderungskündigung hätte aussprechen können. Das Kündigungsschreiben vom 29.11.2001 enthalte nach Auslegung des Schreibens eine ordentliche Kündigung, ohne dass die Voraussetzungen nach § 31 AVR vorlägen. Einen Anspruch auf vorläufige Weiterbeschäftigung zu den alten Bedingungen bei Ausspruch einer Änderungskündigung gebe es auch unter Berücksichtigung der Entscheidung des Großen Senats des Bundesarbeitsgerichts zum Weiterbeschäftigungsanspruch vom 27.02.1985 nicht.

Wegen der konkreten Begründung und des Vortrags der Parteien in der ersten Instanz wird auf das Urteil vom 26.06.2002 Bl. 120–133 d. A. verwiesen.

Gegen dieses ihnen jeweils am 09.07.2002 zugestellte Urteil haben beide Parteien jeweils mit am 08.08.2002 beim Landesarbeitsgericht Berlin eingegangenen Schriftsätzen Berufung eingelegt und diese jeweils mit am 09.09.2002 beim Landesarbeitsgericht Berlin eingegangenen Schriftsätzen begründet.

Die Beklagte ist der Auffassung, dass das Schreiben vom 29.11.2001 eine außerordentliche Änderungskündigung mit sozialer Auslauffrist darstelle. Diese sei wirksam, da die Voraussetzungen dafür nach §§ 30 ff. AVR vorlägen. Auf den Schwerbehindertenschutz der Klägerin geht die Beklagte in der zweiten Instanz nur im Rahmen des Weiterbeschäftigun...

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