Entscheidungsstichwort (Thema)

Wirksame Probezeitkündigung im Ausbildungsverhältnis bei erneuter Vereinbarung einer Probezeit

 

Leitsatz (amtlich)

I. Gemäß § 20 Satz 1 BBiG beginnt das Berufsausbildungsverhältnis mit einer Probezeit. Weder dem Wortlaut noch der Gesetzessystematik kann entnommen werden, dass eine Probezeit in den Fällen, in denen zuvor zwischen den Vertragsparteien bereits ein Berufsausbildungsverhältnis über denselben Ausbildungsberuf bestanden hatte, welches aber beendet ist, bei einer neuen Begründung des Berufsausbildungsverhältnisses entfällt.

II. Unter Berücksichtigung des Gesetzeszwecks ist § 20 BBiG iVm. §§ 22, 25 BBiG allerdings einschränkend dahin auszulegen, dass eine Vereinbarung über eine erneute Probezeit dann unzulässig ist, wenn ein Berufsausbildungsverhältnis nach einer Dauer von mindestens vier Monaten zwar rechtlich beendet wurde, dieselben Vertragsparteien aber einen Berufsausbildungsvertrag abschließen, auf dessen Grundlage der Auszubildende ohne zeitliche Unterbrechung für eine Berufsausbildung über denselben Ausbildungsberuf eingestellt wird.

III. Da es sich bei §§ 20, 22 BBiG um zwingendes Gesetzesrecht handelt, von dem nicht zu Ungunsten des Auszubildenden abgewichen werden kann, kann ausgehend von dem mit § 20 BBiG verfolgten Gesetzeszweck eine Probezeit auch dann nicht mehr vereinbart werden, wenn zwar ein Berufsausbildungsverhältnis, welches mindestens vier Monate bestand, rechtlich beendet wurde, zwischen denselben Parteien aber ein neuer Berufsausbildungsvertrag über die Ausbildung in demselben Ausbildungsberuf geschlossen wird, und zwischen den beiden Vertragsverhältnissen ein enger zeitlicher und sachlicher Zusammenhang besteht, so dass unter Berücksichtigung des Zwecks der Probezeit eine weitere Probezeit mit einer jederzeitigen Kündigungsmöglichkeit nicht gerechtfertigt ist.

 

Normenkette

BBiG §§ 20, 25, 20 S. 1, § 22 Abs. 1; BGB §§ 242, 307 Abs. 1 S. 1

 

Verfahrensgang

ArbG Berlin (Entscheidung vom 25.07.2012; Aktenzeichen 31 Ca 2631/12)

 

Nachgehend

BAG (Urteil vom 12.02.2015; Aktenzeichen 6 AZR 831/13)

 

Tenor

I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 25. Juli 2012 - 31 Ca 2631/12 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

II. Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Klägerin begehrt die Feststellung, dass ihr Ausbildungsverhältnis nicht durch eine Kündigung der Beklagten beendet worden ist.

Zwischen den Parteien bestand in der Zeit vom 1. September 2008 bis zum 21. Dezember 2010 ein Ausbildungsverhältnis zur Ausbildung im Ausbildungsberuf Holzarbeiterin. Die Beklagte betreibt einen "Reha-Ausbildungsbetrieb" im Rahmen der überbetrieblichen Ausbildung, der speziell für Auszubildende mit Teilleistungshindernissen, wie zB ADHS, Legasthenie und Drogensucht gegründet und zuständig ist. Vor Beginn der Ausbildung hatte die Agentur für Arbeit Berlin Süd für die am 13. September 1988 geborene Klägerin ein psychologisches Gutachten einholen lassen. In diesem Gutachten vom 20. Mai 2008 (Bl. 58 bis 59 der Akte) äußerte der Gutachter, besonders wichtig sei eine umfassende psychologische Betreuung während der Ausbildung. Als die Klägerin die Ausbildung begann, litt sie verstärkt unter Depressionen, Stimmungsschwankungen, Aggressionen, Schlafstörungen und zeigte ein selbstverletzendes Verhalten (Borderline). Sie bemühte sich stets intensiv, den Zielen und Anforderungen der Ausbildung gerecht zu werden.

Die Beklagte kündigte das Ausbildungsverhältnis außerordentlich zum 21. Dezember 2010, wobei sie die Kündigung ua. mit Ausfall- und Fehlzeiten begründete. Bei Beendigung des Ausbildungsverhältnisses versprach die Beklagte der Klägerin die Möglichkeit der Fortsetzung der Ausbildung, soweit sich ihre allgemeine Lebenssituation stabilisiere und die Klägerin konstruktiv an der Überwindung der Probleme arbeite. Zwischen der Klägerin, der Beklagten und der für die Klägerin zuständigen Berufsberaterin der Agentur für Arbeit wurde vereinbart, dass die Klägerin eine vorbereitende Maßnahme bei einem anderen Bildungsträger zur Vorbereitung der Fortsetzung der Ausbildung absolviert. Die Klägerin nahm an einer solchen vorbereitenden Maßnahme bei einem anderen Bildungsträger im Jahr 2011 teil.

Am 1. September 2011 schlossen die Parteien einen schriftlichen Berufsausbildungsvertrag zur Ausbildung im Ausbildungsberuf Holzarbeiter. In dem Berufsausbildungsvertrag heißt es auszugsweise:

"A. Die Ausbildungszeit beträgt nach der Ausbildungsordnung 36 Monate. Diese verringert sich durch die Ausbildung/Vorbildung Holzarbeiter um 24 Monate. Das Berufsausbildungsverhältnis beginnt am 01.09.2011 und endet am 31.08.2012.

B. Die Probezeit beträgt 4 Monate (Vertrag § 1 Nr.2)"

Wegen des weiteren Inhalts des Vertrages wird auf Bl. 4 der Akte Bezug genommen.

Die Ausbildung wurde von der Bundesagentur für Arbeit als Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben nach dem SGB IX mit einem Ausbildungsgeld in Höhe von monatlich 572,00 Euro und Reisekosten für Pendelfahrten von monatlich 53,00 Euro geförde...

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