Entscheidungsstichwort (Thema)

Anhörung des Betriebsrats. mangelnde Vorlage einer Vollmachtsurkunde

 

Leitsatz (amtlich)

1. Die Einleitung des Anhörungsverfahrens nach § 102 BetrVG durch einen Bevollmächtigten des Arbeitgebers ist dann unwirksam, wenn der Betriebsrat die mangelnde Vorlage einer Vollmachtsurkunde unverzüglich rügt (§ 174 BGB analog).

2. Wird trotz einer gerichtlichen Belehrung nach § 6 KSchG die Rüge der nicht ordnungsgemäßen Anhörung des Betriebsrates erhoben, so sind damit alle Mängel des Anhörungsverfahrens nach § 102 BetrVG umfasst.

 

Normenkette

KSchG §§ 1, 6, 17; BetrVG § 102; BGB §§ 174, 613a Abs. 4 S. 1

 

Verfahrensgang

ArbG Berlin (Urteil vom 15.12.2010; Aktenzeichen 31 Ca 779/10)

 

Nachgehend

BAG (Urteil vom 13.12.2012; Aktenzeichen 6 AZR 608/11)

 

Tenor

I. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 15. Dezember 2010 – 31 Ca 779/10 – teilweise abgeändert und unter Abweisung der weitergehenden Klage festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Klägerin und der Beklagten zu 1) durch die Kündigung vom 24.12.2009 nicht aufgelöst worden ist. Die weitergehende Berufung der Klägerin wird zurückgewiesen.

II. Von den Kosten des Rechtsstreits der I. Instanz und den Gerichtskosten der II. Instanz haben die Klägerin 64 % und die Beklagte zu 1) 36 % zu tragen. Hinsichtlich der außergerichtlichen Kosten der II. Instanz trägt die Klägerin 30 % der Kosten der Beklagten zu 1) und sämtliche Kosten der Beklagten zu 3). Die Beklagte zu 1) trägt insofern 70 % der außergerichtlichen Kosten der Klägerin.

III. Die Revision wird für die Klägerin und die Beklagte zu 1) zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten darüber, ob das Arbeitsverhältnis der Klägerin im Wege des Betriebsüberganges mit der Beklagten zu 3) fortbesteht, ob eine Kündigung der Beklagten zu 1) das Arbeitsverhältnis beendet hat und über den vorläufigen Weiterbeschäftigungsanspruch.

Die Klägerin war seit dem 1. April 1992 auf Basis des englischsprachigen Arbeitsvertrages vom 4. März 1992 (Kopie Bl. 7 d. A.) zuletzt als „Station Superintendent” bei der O. Airlines S.A. mit einem Bruttomonatsentgelt von 4.096,– EUR beschäftigt.

Das griechische Flugunternehmen O. Airlines S.A. unterhielt u. a. in Deutschland eine Niederlassung in Frankfurt am Main, sowie 4 Stationen in München, Düsseldorf, Stuttgart und Berlin. In Deutschland beschäftigte das Unternehmen insgesamt 69 Arbeitnehmer. Hiervon waren 8 in der Station Berlin tätig, wobei über 5 Arbeitnehmer dort schon seit dem 31. Dezember 2003 beschäftigt wurden. In Berlin wie auch in den anderen Stationen war ein einköpfiger Betriebsrat gebildet worden.

Im Hinblick auf einen defizitären Flugbetrieb der O. Airlines S.A. erließt der griechische Gesetzgeber das Gesetz Nr. 3710/2008 über das Liquidationsverfahren für defizitäre Unternehmen in staatlicher Hand (Deutsche Übersetzung: Bl. 73 ff. d. A.).

Am 28. September 2009 stellte die O. Airlines S.A. ihren Flugbetrieb mit eigenen Flugzeugen ein. Die Beklagte zu 3) bediente ab dem nächsten Tag einige dieser Flugverbindungen. Hierzu hatte sie die vorher von der O. Airlines S.A. genutzten Start- und Landerechte (Slots) erworben. Weiterhin hatte sie von dem griechischen Staat die Lizenzrechte an der Marke „O.” ebenfalls erworben. Die Beklagte zu 3) bietet keine Flugverbindungen in und nach Deutschland an. Sie unterhält in Deutschland keinerlei Büros und beschäftigt hier auch keine Mitarbeiter.

Mit dem rechtskräftigen Beschluss vom 2. Oktober 2009 ordnete das Athener Berufungsgericht das Liquidationsverfahren über das Vermögen der O. Airlines S.A. an und bestellte die Beklagte zu 1) zur Sonderliquidatorin (deutsche Übersetzung: Bl. 94 ff. d. A.).

Ausweislich der Bekanntmachung der Eintragung der Beklagten zu 1) in dem Regierungsblatt der griechischen Republik vom 27. Mai 2009, Bl. Nr. 3847 ins Register Aktiengesellschaften (deutsche Übersetzung: Bl. 112 ff. d. A.) wird die Beklagte zu 1) durch den Direktor Th. S. und das geschäftsführende Ratsmitglied A. M. „mit der Möglichkeit, dass jeder getrennt handelt”, vertreten.

Nachdem die Verhandlungen zwischen der Beklagten zu 1) und dem Gesamtbetriebsrat der O. Airlines S.A. über einen Interessenausgleich gescheitert waren, erstellte die Einigungsstelle am 4. Dezember 2009 einen Sozialplan auf der Basis von § 123 InsO. Die Wirksamkeit des Sozialplanes steht inzwischen rechtskräftig fest.

Mit Schreiben vom 15. Dezember 2009 (Bl. 142 f. d. A.) hörte die Beklagte zu 1) vertreten durch ihren jetzigen Prozessbevollmächtigten den Betriebsrat der Station Berlin zu der beabsichtigten Kündigung der Klägerin an, ohne dass eine Vollmachtsurkunde vorgelegt worden war. Dieses Schreiben ging dem Betriebsrat am 16. Dezember 2009 zu. Unter dem 21. Dezember 2009 widersprach der Betriebsrat der beabsichtigten Kündigung (Bl. 144 f. d. A.) und führte hierzu aus:

„4. Der Betriebsrat hat bereits per Fax am 18.12.2009 gerügt, dass keine Vollmacht im Original vorliegt.”

Dieses an den jetzigen Prozessbevollmächtigten der Beklag...

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