Entscheidungsstichwort (Thema)

Rechtsfolgen des Fehlens der Stellungnahme des Betriebsrats zu einer Massenentlassungsanzeige

 

Leitsatz (amtlich)

1. Eine Massenentlassungsanzeige ist unwirksam, wenn der Arbeitgeber ihr entgegen § 17 Abs. 3 Satz 2 KSchG keine Stellungnahme des Betriebsrats beifügt und auch die Voraussetzungen des § 17 Abs. 3 Satz 3 KSchG nicht erfüllt sind (BAG vom 22.11.2012 - 2 AZR 371/11 - Rn. 14 ff.).

2. Äußert sich der Betriebsrat im Rahmen des Konsultationsverfahrens nach § 17 Abs. 2 Satz 2 KSchG schriftlich und stellt dies keine Stellungnahme i.S.d. § 17 Abs. 3 Satz 2 KSchG dar, so kann offenbleiben, ob im Rahmen des § 17 Abs. 3 Satz 3 KSchG jede ungenügende Stellungnahme der Massenentlassungsanzeige beizufügen ist (so wohl BAG vom 28.06.2012 - 6 AZR 780/10 - Rn. 58).

Eine nach § 17 Abs. 3 Satz 2 KSchG ungenügende Stellungnahme des Betriebsrats muss jedenfalls der Erklärung des Arbeitgebers nach § 17 Abs. 3 Satz 3 KSchG dann beigefügt werden, wenn die Beifügung notwendig ist, um der Agentur für Arbeit den "Stand der Beratungen" mitzuteilen.

3. Führt der Arbeitgeber kein gebotenes Konsultationsverfahren nach § 17 Abs. 2 KSchG durch, ist eine Kündigung unwirksam (BAG vom 21.03.2013 - 2 AZR 60/12 - Rn. 19 ff.). Der Nichtdurchführung des Konsultationsverfahrens steht eine fehlende Ordnungsgemäßheit gleich.

Ein Konsultationsverfahren wird nicht ordnungsgemäß durchgeführt, wenn dem Betriebsrat als Kollegialorgan keine Möglichkeit eingeräumt wird, zu dem Ergebnis eines ersten Beratungsgesprächs des Arbeitgebers mit einer "Verhandlungskommission" des Betriebsrats Stellung zu nehmen. Dies auch dann nicht, wenn die Zweiwochenfrist des § 17 Abs. 3 Satz 3 KSchG schon abgelaufen ist.

4. Es kann offenbleiben, ob eine Massenentlassungsanzeige wirksam erst dann erstattet werden kann, wenn das Konsultationsverfahren beendet worden ist (so LAG Niedersachsen vom 07.04.2011 - 4 Sa 1271/10 - Rn. 41 ff.). Die Frage der Heilungsmöglichkeit einer anfänglich unwirksamen Massenentlassungsanzeige stellt sich nicht, wenn der Arbeitgeber die Kündigung ausspricht, bevor das Konsultationsverfahren nach § 17 Abs. 2 KSchG beendet worden sein kann.

 

Normenkette

KSchG § 17 Abs. 2 S. 2, Abs. 3 S. 3

 

Verfahrensgang

ArbG Berlin (Entscheidung vom 06.08.2015; Aktenzeichen 44 Ca 2312/15)

 

Nachgehend

BAG (Urteil vom 26.10.2017; Aktenzeichen 2 AZR 298/16)

 

Tenor

I. Auf die Berufung der Klägerin hin wird das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 06.08.2015 - 44 Ca 2312/15 teilweise abgeändert:

Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien weder durch die Kündigung vom 29.01.2015 noch durch die Kündigung vom 27.06.2015 aufgelöst worden ist.

Hinsichtlich des Antrages zu 3. (allgemeiner Feststellungsantrag) wird die Berufung als unzulässig verworfen.

II. Die Kosten erster und zweiter Instanz trägt die Beklagte.

III. Die Revision wird hinsichtlich der Kündigungsschutzanträge zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten insbesondere über die Wirksamkeit zweier betriebsbedingter Kündigungen im Rahmen einer Massenentlassung.

Die am .... geborene Klägerin ist bei der Beklagten bzw. deren Rechtsvorgängerinnen seit dem 01.01.1992 als Flugzeug-/Fluggastabfertigungskraft am Flughafen Berlin-Tegel gegen ein monatliches Gehalt von zuletzt 3.065,10 EUR brutto beschäftigt.

Die Beklagte beschäftigte 2015 mehr als 100 Arbeitnehmer. Bei der Beklagten besteht ein Betriebsrat. Kommanditistin der Beklagten ist die G. Berlin GmbH & Co. KG (GBB). Diese war die einzige Auftraggeberin der Beklagten. Die Gesellschafter der Beklagten beschlossen am 22.09.2014 den Betrieb der Beklagten zum 31.03.2015 stillzulegen(Anlage B-K4). Die GBB kündigte sämtliche noch vorhandene Aufträge aus den Bereichen Check-In zu Anfang November 2014, die übrigen Aufträge zum 31.03.2015.

Es wurde anlässlich der (von der Beklagten behaupteten) Betriebsstilllegung eine Einigungsstelle eingesetzt. Beisitzer des Betriebsrats war unter anderem Herr Rechtsanwalt K.. Dieser wandte sich im Rahmen des Einigungsstellenverfahrens an den Einigungsstellenvorsitzenden u.a. mit einem dreiseitigen Schreiben vom 15.12.2014 (Anlage (K 14) II b, Bl. 228-230 d.A.) und monierte darin den Mangel an Informationen seitens der Beklagten. Man habe ernsthaft weder über Alternativen zu einer Betriebsschließung noch über deren Wie verhandelt. Am 18.12.2014 erklärte die Beklagte die Interessenausgleichsverhandlungen für gescheitert.

Mit Schreiben vom 02.01.2015 (Anlage B-K 15, Bl. 96 f. d.A.) unterrichtete die Beklagte den Betriebsrat über die Massenentlassung. Am Ende des Schreibens wird u.a. auf die Verhandlungen in der Einigungsstelle Bezug genommen. Der Betriebsrat antwortete mit Schreiben vom 14.01.2015 (Anlage K 14, Bl. 231 d.A.) und verwies auf das Schreiben von Herrn Rechtsanwalt K. vom 15.12.2014 (Anlage (K 14) II b, Bl. 228-230 d.A) im Einigungsstellenverfahren, das der Betriebsrat seinem Schreiben beilegte.

Mit Schreiben vom 28.01.2015 erstattete die Beklagte gegenüber der Agentur für Cottbus eine Masse...

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