Entscheidungsstichwort (Thema)

Bestimmender Einfluss beliebiger Art als Merkmal eines beherrschenden Unternehmens. Inhalt und Grenzen des Konsultationsverfahrens mit dem Betriebsrat vor Ausspruch von Massenentlassungen

 

Leitsatz (amtlich)

1. Ein beherrschendes Unternehmen im Sinne von § 17 Abs. 3a KSchG ist schon gegeben, wenn eine rechtliche Verbindung beliebiger Art einen bestimmenden Einfluss ermöglicht.

2. Der Informationsanspruch des Betriebsrats nach § 17 Abs. 2 KSchG ist nicht begrenzt, bestimmt sich aber nach dem Gang der Konsultationen.

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Der Begriff eines "den Arbeitgeber beherrschenden Unternehmens" wird dahingehend verstanden, dass das beherrschende Unternehmen mit seiner Stimmenmehrheit in den Entscheidungsorganen des Arbeitgebers diesen zu bestimmten Entscheidungen zwingen kann. Es reicht dazu eine rechtliche Verbindung beliebiger Art aus, wenn sie geeignet ist, einen bestimmten Einfluss zu bewirken.

2. Der Arbeitgeber unterliegt im Konsultationsverfahren vor geplanten Massenentlassungen gem. § 17 Abs. 2 und 3 KSchG keinem Einigungszwang. Der ernste Wille zur Einigung in den Verhandlungen mit dem Betriebsrat reicht aus. Dem Betriebsrat sind dabei alle erforderlichen schriftlichen Unterrichtungen zu geben und ggfs. weitere Auskünfte zu erteilen.

 

Normenkette

KSchG § 17 Abs. 2, 3a; RL 98/59/EG Art. 2 Abs. 4

 

Verfahrensgang

ArbG Berlin (Entscheidung vom 23.02.2016; Aktenzeichen 27 Ca 9901/15)

 

Tenor

I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 23. Februar 2016 - 27 Ca 9901/15 wird zurückgewiesen.

II. Die Kosten der Berufung einschließlich der Kosten des Verfahrens C-62/17 vor dem Europäischen Gerichtshof trägt die Klägerin.

III. Der Gebührenwert für das Berufungsverfahren wird auf 30.600,00 EUR festgesetzt.

IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten noch über die Wirksamkeit einer (zweiten) betriebsbedingten Kündigung und hilfsweise um einen Nachteilsausgleich.

Die Klägerin ist 55 Jahre alt (geb. ..... 1963) und war mit einer Betriebszugehörigkeit seit dem 1. April 1992 bei der Beklagten bzw. deren Rechtsvorgängerin als Angestellte im Bereich Check-In auf dem Flughafen Berlin-Tegel in Teilzeit mit einem Bruttomonatseinkommen in Höhe von ca. 1.700 EUR beschäftigt.

In der Vergangenheit hatte die G. Berlin GmbH & Co. KG (GGB) sämtliche Vorfeld- und Passagedienstleistungen an den Flughäfen Tegel und Schönefeld erbracht. Die GGB wurde im Jahre 2008 durch die W.-Gruppe erworben. Die W.-Gruppe besteht aus der A. Holding AG mit dem Vorstand M. C. W. und mindestens den Geschäftsbereichen F. Service (W. F. Service Holding GmbH), I. Service (W. I. Service Holding GmbH) und A. Service (W. A. Service Holding GmbH).

In den Jahren 2011/2012 erfolgten eine organisatorische und eine rechtliche Trennung der verschiedenen Geschäftsbereiche der GGB in Passage bzw. Passagierabfertigung, Rampe bzw. Vorfeld, Verwaltung und Werkstatt. Während die Verwaltung bei der GGB verblieb, wurde der Bereich Werkstatt von der W. Airport Werkstatt Service Berlin GmbH & Co. KG (AWSB), der Bereich Rampe bzw. Vorfeld von der AGSB A. G. Service Berlin GmbH & Co. KG und der Betrieb Passage bzw. Passagierabfertigung von der Beklagten (APSB) fortgeführt. Die betreffenden Arbeitsverhältnisse - darunter das der Klägerin - gingen im Mai 2012 im Wege des Betriebsübergangs auf die Beklagte über. Diese spaltete ihren Betrieb im Jahr 2014 in die Betriebsteile Tegel und Schönefeld auf und übertrug den Bereich der Passagierabfertigung des Betriebsteils Schönefeld auf eine neu gegründete Gesellschaft. Die Arbeitsverhältnisse der am Flughafen Tegel beschäftigten Arbeitnehmer verblieben überwiegend bei der Beklagten, die zuletzt etwa 190 Arbeitnehmer beschäftigte. Ob im Jahre 2013 sämtliche Aufträge von der GGB in die W. C. GmbH & Co. KG transferiert wurden oder ob dieses nur zu ca. einem Drittel geschah, ist zwischen den Parteien streitig. Jedenfalls beschäftigte die GGB spätestens Ende 2013 keine Arbeitnehmer mehr.

Einzige Auftraggeberin sowie einzige Kommanditistin und in der Gesellschafterversammlung allein stimmberechtigte Gesellschafterin der Beklagten ist die GGB. Deren Kommanditanteile wurden von einem Unternehmen der sog. W.-Gruppe gehalten. Komplementärin der GGB ist die G. Berlin Beteiligungs GmbH. Deren Gesellschafter sind mit Herrn B. A. einerseits und den Rechtsanwälten Herrn G. B. und Herrn Dr. M. Sch. andererseits jeweils natürliche Personen. Die Beklagte gehört deshalb rechtlich weder zum Konzern der GGB noch zum W.-Konzern. Nach dem in der Berufungsverhandlung am 20. Dezember 2018 von der Beklagten bestrittenen Vortrag sind Herr B. und Herr Dr. Sch. durch Treuhandverträge mit der W.-Gruppe bzw. anderen W.-Unternehmen bzw. Herrn M. C. W. verpflichtet, ihre Gesellschafterstellung auf Anweisung und im Sinne der W.-Gruppe auszuüben.

Auf die Arbeitsverhältnisse mit der GGB fanden zunächst deren Vergütungstarifverträge Anwendung. Im September 2013 traten allgemeinverbindli...

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