Entscheidungsstichwort (Thema)

Keine Auflösung des tariflich ordentlich unkündbaren Arbeitsverhältnisses infolge Schließung der Beklagten aufgrund gesetzlicher Vorschrift bzw. außerordentlicher Kündigung mit sozialer Auslauffrist.. Beendigung von Arbeitsverhältnissen aufgrund Schließung einer Betriebskrankenkasse

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Die Regelungen in § 164 SGB V sind auf den Fall der Schließung einer Betriebskrankenkasse entsprechend anzuwenden.

2. Wird eine Betriebskrankenkasse (hier: wegen Überschuldung) geschlossen, so enden die Arbeitsverhältnisse ihrer Bediensteten nicht kraft Gesetzes.

3. Ist ein Arbeitsverhältnis aufgrund des geltenden Tarifvertrages unkündbar, so kann es durch ordentliche Kündigung nur beendet werden, wenn zuvor das Unterbringungsverfahren gem. § 164 Abs. 3 SGB V durchgeführt worden ist. Nur einem Arbeitnehmer, dem zuvor ein zumutbares Unterbringungsangebot unterbreitet worden ist, kann, wenn er dieses ablehnt, ordentlich gekündigt werden.

4. Ein Weiterbeschäftigungsangebot bei einer anderen Betriebskrankenkasse, das der bisherigen Stellung des Arbeitnehmers in der betrieblichen Hierarchie der (geschlossenen) Betriebskrankenkasse auch hinsichtlich der Vergütung nicht entspricht, ist nicht zumutbar.

 

Normenkette

SGB V § 155 Abs. 4 S. 9, § 164 Abs. 2-4; KSchG § 1 Abs. 2-3

 

Verfahrensgang

ArbG Berlin (Entscheidung vom 24.11.2011; Aktenzeichen 50 Ca 7946/11)

 

Nachgehend

BAG (Urteil vom 21.11.2013; Aktenzeichen 2 AZR 474/12)

 

Tenor

I. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 24.11.2011 - 50 Ca 7946/11 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

II. Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten um die Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses aufgrund gesetzlicher Anordnung bzw. Kündigung seitens der Beklagten.

Die am .....1959 geborene Klägerin war ab 14.01.1991 Mitarbeiterin des Landes Berlin, beschäftigt bei dessen Betriebskrankenkasse. Infolge eines Betriebsüberganges war sie seit dem 01.01.1999 in der Berliner Geschäftsstelle der Beklagten bzw. deren Rechtsvorgängerinnen als Sozialversicherungsangestellte tätig. Auf das Arbeitsverhältnis findet kraft beiderseitiger Tarifbindung der Manteltarifvertrag für die Beschäftigten der Betriebskrankenkassen vom 01.05.2010 (künftig: MTV) Anwendung. Nach § 20 Abs. 1 MTV ist das Arbeitsverhältnis nur noch aus einem in der Person der Klägerin oder ihrem Verhalten liegenden wichtigen Grund außerordentlich kündbar.

Nach Anzeige der Überschuldung durch die Beklagte am 07.04.2011 ordnete das Bundesversicherungsamt mit Bescheid vom 04.05.2011 die Schließung der Beklagten zum 30.06.2011 an.

Mit Schreiben vom 09.05.2011 teilte die Beklagte der Klägerin mit, dass ihr Arbeitsverhältnis aufgrund der Schließung mit dem 30.06.2011 ende.

Mit Schreiben vom 20.04.2011 und 04.05.2011 unterrichtete die Beklagte den bei ihr gebildeten Hauptpersonalrat darüber, dass sie alle Arbeitsverhältnisse vorsorglich zum 30.06.2011 und höchstvorsorglich fristgemäß bzw. bei den tariflich ordentlich unkündbaren Arbeitnehmern außerordentlich mit sozialer Auslauffrist kündigen werde. Der Hauptpersonalrat erhob hiergegen mit Schreiben vom 17.05.2011 Einwendungen. Mit zwei Schreiben vom 18.05.2011 nahm die Beklagte hierzu Stellung und forderte den Hauptpersonalrat erfolglos auf, einen Terminvorschlag für ein Gespräch zu benennen.

Mit Schreiben vom 19.05.2011 erklärte die Beklagte die außerordentliche Kündigung mit sozialer Auslauffrist bis zum 30.06.2011, vorsorglich mit sozialer Auslauffrist zum nächstmöglichen Termin, dem 31.12.2011.

Zwischenzeitlich schloss die Klägerin mit der zuvor als Körperschaft des öffentlichen Rechts geführten Beklagten als Körperschaft des öffentlichen Rechts in Abwicklung einen bis zum 30.06.2012 befristeten Arbeitsvertrag vom 23.06.2011 (Bl. 323 bis 328 d. A.), aufgrund dessen sie seit dem 01.07.2011 als Teamleiterin bei der Abwicklung eingesetzt wird. Dieser Vertrag wurde zuletzt bis zum 31.12.2012 verlängert.

Mit am 26.05.2011 beim Arbeitsgericht Berlin eingegangener Klage hat sich die Klägerin gegen die Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses zum 30.06.2011 aufgrund des Schließungsbescheids und mit weiterer, am 03.06.2011 dort eingegangener Klage gegen die Kündigung gewandt. Mit Beschluss vom 29.08.2011 (Bl. 61 bis 63 d. A.) hat das Arbeitsgericht beide Verfahren unter Führung des Verfahrens 50 Ca 7946/11 zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden. In diesem Beschluss wurde der Beklagten ferner u. a. die Auflage erteilt, zum Inhalt und zur Zumutbarkeit eines von der Klägerin ggf. erhaltenen anderweitigen Beschäftigungsangebots vorzutragen.

Die Klägerin hat gemeint, ihr Arbeitsverhältnis sei nicht nach § 164 Abs. 4 Satz 1 SGB V mit dem 30.06.2011 beendet worden. Diese Vorschrift könne verfassungskonform nur so ausgelegt werden, dass die Arbeitsverhältnisse der nicht nach Absatz 3 untergebrachten Arbeitnehmer mit dem Tag der Schließung unter Einhaltung der kündigungsschutzrechtlichen und tariflichen Regelungen be...

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