Entscheidungsstichwort (Thema)

Auslegung eines Sozialplans zur Stichtagsregelung für Eigenkündigungen. Sachwidrige Sozialplanregelung zur Erhaltung einer eingearbeiteten und qualifizierten Belegschaft

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Sozialpläne sind als Betriebsvereinbarungen besonderer Art wegen ihrer aus § 77 Abs. 4 Satz 1 und § 112 Abs. 1 Satz 3 BetrVG folgenden normativen Wirkung nicht wie privatrechtliche Rechtsgeschäfte nach §§ 133, 157 BGB sondern wie Tarifverträge und Gesetze objektiv auszulegen; auszugehen ist dementsprechend zunächst vom Wortlaut und dem durch ihn vermittelten Wortsinn, darüber hinaus kommt es auf den Gesamtzusammenhang und die Systematik der Bestimmung an.

2. Der Sozialplanzweck ist aus Wortlaut und Gesamtzusammenhang der Regelung zu erschließen und bestimmt sich nicht nach den subjektiven Vorstellungen einer Betriebspartei; der tatsächliche Wille der Betriebsparteien ist nur zu berücksichtigen, soweit er im Sozialplan seinen Niederschlag gefunden hat.

3. Eine Stichtagsregelung zur Sozialplanabfindung mit dem Wortlaut "Endet das Arbeitsverhältnis aus betriebsbedingten Gründen durch arbeitgeberseitige Kündigung, durch Aufhebungsvertrag auf Veranlassung des Arbeitgebers oder durch Eigenkündigung des Mitarbeiters nach dem 25. September 2011, hat der Mitarbeiter Anspruch auf eine Abfindung nach Maßgabe der folgenden Regelungen" ist dahingehend auszulegen, dass sich die Stichtagsregelung auf die Beendigung des Arbeitsverhältnisses und nicht auf den Zeitpunkt der Beendigungserklärung bezieht.

4. Wollen die Betriebsparteien an die Beendigungserklärung anknüpfen, müssen sie dies in der Regelung klar zum Ausdruck bringen, indem sie auf den Zugang einer Kündigung oder den Abschluss eines Aufhebungsvertrages nach dem Stichtag abstellen.

5. Den Betriebsparteien ist in einem Sozialplan eine Gruppenbildung verwehrt, die dazu dient, der Arbeitgeberin eine eingearbeitete und qualifizierte Belegschaft zu erhalten; ein solches Ziel entspricht nicht dem Zweck eines Sozialplans, der nach seiner ausdrücklichen gesetzlichen Bestimmung in § 112 Abs. 1 Satz 2 BetrVG einen Ausgleich oder eine Abmilderung der den Beschäftigten durch die Betriebsänderung entstehenden wirtschaftlichen Nachteile gewährleisten soll.

6. Betriebliche Interessen an der Erhaltung der Belegschaft oder Teilen der Belegschaft sind nicht geeignet, Differenzierungen bei der Höhe von Sozialplanabfindungen zu rechtfertigen; diesen Interessen kann nur durch andere zusätzliche Leistungen im Rahmen freiwilliger Betriebsvereinbarungen Rechnung getragen werden.

7. Eine Abfindungsregelung ist unwirksam, wenn sie eine Kürzung des Abfindungsbetrages für (auch nur teilweise) Beschäftigte der Abteilungen Finanz- und Rechnungswesen sowie Controlling vorsieht, soweit diese ihr Arbeitsverhältnis zu einem Zeitpunkt vor dem 31.03.2012 durch Eigenkündigung oder Aufhebungsvertrag beenden, für Beschäftigte anderer Abteilungen, die von den weiteren Umstrukturierungsmaßnahmen betroffen sind, es aber keine entsprechende Regelung gibt; die hierdurch vorgenommene Differenzierung innerhalb der Gruppe derjenigen Beschäftigten, die ihr Arbeitsverhältnis durch Eigenkündigung oder Aufhebungsvertrag beenden, ist sachlich nicht gerechtfertigt.

 

Normenkette

BetrVG § 75 Abs. 1; GG Art. 3 Abs. 1; BetrVG § 75 Abs. 1 S. 1, § 77 Abs. 4 S. 1, § 112 Abs. 1 S. 3

 

Verfahrensgang

ArbG Berlin (Entscheidung vom 11.07.2012; Aktenzeichen 41 Ca 3541/12)

 

Nachgehend

BAG (Urteil vom 17.11.2015; Aktenzeichen 1 AZR 881/13)

 

Tenor

I. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 11.07.2012 - 41 Ca 3541/12 - teilweise abgeändert und die Beklagte verurteilt, an den Kläger 58.305,00 EUR brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweils maßgeblichen Basiszinssatz seit dem 08.03.2012 zu zahlen.

II. Die Kosten des Rechtsstreits hat die Beklagte zu tragen.

III. Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über einen Abfindungsanspruch aus dem Sozialplan, nachdem der Kläger sein Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 04.08.2011 zum 30.09.2011 gekündigt hat.

Er war auf der Grundlage des mit der Gesellschaft für Beratung und Sozialmanagement mbH (im Folgenden: GBS), die am 03.09.2011 auf die Beklagte verschmolzen wurde, geschlossenen Arbeitsvertrages seit dem 01.10.2002 als Leiter der Finanzbuchhaltung gegen eine monatliche Bruttovergütung von zuletzt 4.600,00 € zuzüglich Nebenleistungen beschäftigt.

Mit dem Schreiben vom 25.07.2011 informierte die GBS den Betriebsrat über die geplante Umstrukturierung der Betriebsstätte Berlin, wonach u. a. die Abteilungen Finanz- und Rechnungswesen sowie Controlling bis zum 31.03.2012 zunächst noch in Berlin fortgeführt und im Anschluss daran nach Düsseldorf verlagert werden sollten. Am 04.08.2011 nahmen die Betriebsparteien die Verhandlungen über einen Interessenausgleich und Sozialplan auf. Die GBS übersandte am 05.08.2011 einen Entwurf eines Sozialplans, auf den wegen des Inhalts verwiesen wird (Bl. 54 bis 56 d. A.).

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