Entscheidungsstichwort (Thema)

Verhaltensbedingte Kündigung. Wohnsitzverlagerung

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Das Kündigungsrecht des Arbeitgebers erlischt durch Verzicht insgesamt, wenn der Kündigungsberechtigte wegen des ihm bekannten Kündigungssachverhalts eine Abmahnung ausspricht.

2. Ein Arbeitnehmer kann die Beseitigung einer ungerechtfertigten Abmahnung vom Arbeitgeber verlangen. Befindet sie sich in der Personalakte, ist sie daraus zu entfernen. Dieser Anspruch ergibt sich aus der allgemeinen Fürsorgepflicht des Arbeitgebers, dem Persönlichkeitsrecht des Arbeitnehmers und einem aus § 1004 BGB hergeleiteten Rechtsgedanken, der jedermann die Verpflichtung auferlegt, Störungen der Rechtsstellung Dritter zu unterlassen.

 

Normenkette

BGB §§ 1004, 314 Abs. 2, § 611 Abs. 1; KSchG § 1 Abs. 2

 

Verfahrensgang

ArbG Berlin (Urteil vom 16.09.2004; Aktenzeichen 40 Ca 11894/04)

 

Tenor

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 16. September 2004 – 40 Ca 11894/04 – abgeändert:

  1. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die arbeitgeberseitige Kündigung vom 26. April 2004 nicht mit Ablauf des 30. September 2004 beendet worden ist.
  2. 2. Die Beklagte wird verurteilt, die Abmahnungen vom 26. April 2004 und 08. Juni 2004 aus der Personalakte des Klägers zu entfernen.
  3. Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger zu unveränderten Arbeitsbedingungen bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzrechtsstreits weiter zu beschäftigen.
  4. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits einschließlich der Kosten der Revision vor dem Bundesarbeitsgericht.
  5. Der Wert des Streitgegenstandes wird für den gesamten Rechtsstreit auf 12.613,80 Euro festgesetzt.
  6. Die Revision wird nicht zugelassen.
 

Tatbestand

Die Parteien streiten um die Wirksamkeit einer fristgemäßen verhaltensbedingten Kündigung vom 26. April 2004 zum 30. September 2004.

Der Kläger war zum Zeitpunkt der Kündigung 43 Jahre alt (… 1961), geschieden und einem 13jährigen Kind zum Unterhalt verpflichtet. Er war seit dem 1. Dezember 1993 bei der Beklagten als Hausmeister mit zuletzt ca. 2.102,30 EUR brutto/mtl. beschäftigt.

Der Kläger hat im Jahre 2002 im Oderbruch einen Bauerhof erworben, den er nach seinen Angaben in der Klageschrift später als Altersruhesitz bewohnen möchte. Aus „steuer- und förderungspolitischen Gründen” hat der Kläger zum 31. Dezember 2003 in der Gemeinde S., in der dieser Bauernhof liegt, seinen ersten Wohnsitz angemeldet.

Zusätzlich bewohnte der Kläger die ihm von der Beklagten zur Verfügung gestellte Dienstwohnung in der B.str. in der Nähe der L. Allee.

Gemäß arbeitsvertraglicher Vereinbarung findet u.a. der Manteltarifvertrag für Arbeiter der GSW (MTV) in der jeweils für die GSW geltenden Fassung (Bl. 60-82 d.A.) Anwendung. In dem MTV vom 12. September 2001 haben die Tarifvertragsparteien in § 16 Abs.1 vereinbart:

Zur Erfüllung seiner Arbeitsverleistung ist der Arbeitnehmer zum Bezug einer Wohnung im Arbeitsgebiet verpflichtet.

Am 17. April 2003 vereinbarten die Tarifvertragsparteien u.a. rückwirkend zum 1. November 2002 eine Protokollerklärung mit folgendem Inhalt:

Wohnung im Sinne dieses Absatzes bedeutet, dass dort der Lebensmittelpunkt und der Hauptwohnsitz des Arbeitnehmers ist.

Nach § 11 MTV beträgt die regelmäßige durchschnittliche Arbeitszeit ausschließlich der Pausen wöchentlich 38 ½ Stunden. Nach § 11 Abs.3 sollen die Arbeitnehmer „grundsätzlich nur an sechs Tagen in der Woche” beschäftigt werden. Nach § 11 Abs.2 UA 2 wird für die Berechnung des Durchschnitts der regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit ein Zeitraum von bis zu einem Jahr zugrunde gelegt.

Nach § 11 Abs.2 UA 1 kann, wenn es die Organisation und Struktur des Unternehmens es erfordern, die regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit bis zu 48 Stunden durchschnittlich verlängert werden.

Nach § 2 der Betriebsvereinbarung Nr.12 vom 1. Oktober 2002 (Bl. 252-253 d.A.) werden die Hauswarte „zur Verbesserung der Kommunikation zwischen Hauswarten und anderen Mitarbeitern der GSW oder mit Handwerksfirmen” mit einem Diensthandy ausgestattet. Nach § 3 ist das Handy „bei der täglichen Arbeiten mitzuführen und stets empfangsbereit zu halten, wenn sich der Hausmeister im Einsatzgebiet/Wohngebiet aufhält. In der Zeit von 20:00 Uhr bis 8:00 Uhr sowie an Sonn- und Feiertagen dient das Handy „ausschließlich zur Benachrichtigung des Hauswartes im Notfall”. Weiter ist es nach § 3 der BV untersagt, die Handynummern der Hauswarte an Mieter weiterzugeben.

In der Anlage 1 zur Betriebsvereinbarung Nr.15 sind die Aufgaben des Hausmeisters konkretisiert (Bl. 245-247 d.A.).

Mit Schreiben vom 23. Februar 2004 informierte der Kläger die Beklagte über seine Wohnsitzverlagerung nach L.. In mehreren Personalgesprächen davor seit Herbst 2003 wurde dieses Thema zwischen den Parteien erörtert. In Personalgesprächen danach wies der Kläger darauf hin, dass es bei dieser Entscheidung bleibe.

Mit Schreiben vom 19. April 2004 (Bl. 83-84 d.A.) informierte die Beklagte den bei ihr gebildeten Bet...

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