Entscheidungsstichwort (Thema)

Gesamtjähriger Günstigkeitsvergleich zwischen arbeitsvertraglicher und gesetzlicher Kündigungsfrist bei betriebsbedingter Kündigung

 

Leitsatz (amtlich)

Ob eine vertragliche oder die gesetzliche Kündigungsregelung günstiger ist, ist nach einem abstrakten Günstigkeitsvergleich bezogen auf ein gesamtes Kalenderjahr zu bestimmen, wobei Kündigungsfrist und Kündigungstermine eine Einheit bilden (offen gelassen: BAG 04.07.2001 - 2 AZR 469/00).

 

Normenkette

BGB § 622 Abs. 2, 5 S. 3; KSchG § 1 Abs. 2 S. 1 Alt. 2; BGB § 622 Abs. 2 S. 1 Nr. 7

 

Verfahrensgang

ArbG Berlin (Entscheidung vom 08.08.2013; Aktenzeichen 44 Ca 332/13)

 

Tenor

I. Auf die Berufung der Beklagten und unter Zurückweisung der Berufung der Klägerin wird Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 08.08.2013 - 44 Ca 332/13 - teilweise abgeändert:

Die Klage wird insgesamt abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits hat die Klägerin zu tragen.

II. Die Revision wird für die Klägerin zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses aufgrund einer betriebsbedingten Kündigung und den vorläufigen Weiterbeschäftigungsanspruch.

Die Klägerin war zuletzt bei der Beklagten als Leiterin Qualitätssicherung tätig, wobei arbeitsvertraglich eine Betriebszugehörigkeit seit dem 1. September 1976 vereinbart wurde. In diesem Vertrag (Kopie Bl. 5 ff. d. A.) war ferner geregelt:

Die Kündigungsfrist beträgt beiderseits sechs Monate zum 30. Juni oder 31. Dezember des Jahres.

Die Klägerin erhielt zuletzt ein monatliches Arbeitsentgelt in Höhe von durchschnittlich 5.172,08 €.

Unter dem 5. Dezember 2012 schloss die Beklagte mit dem bei ihr bestehenden Betriebsrat einen Interessenausgleich hinsichtlich einer Betriebsstilllegung ab. Unter dem 11. Dezember 2012 fasste die Alleingesellschafterin der Beklagten einen Gesellschafterbeschluss, den Betrieb der Beklagten zum 30. Juni 2013 stillzulegen. Zu diesem Datum endete auch der befristete Gewerbemietvertrag über das Betriebsgrundstück. Mit Schreiben vom 6. Dezember 2012 hörte die Beklagte den bei ihr bestehenden Betriebsrat zu der beabsichtigten Kündigung der Klägerin an (Kopie Bl. 99 ff. d. A.). Hierüber existiert ein Empfangsbekenntnis des Betriebsrates vom 6. Dezember 2012 (Kopie Bl. 102 d. A.).

Unter dem 19. Dezember 2012 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis mit der Klägerinzum30. Juni 2013 "unter Wahrung der arbeitsvertraglichen Kündigungsfrist." Die Kündigung ging der Klägerin am selben Tag zu. Unter dem 4. Januar 2013 (Kopie Bl. 126 ff. d. A.) wies der spätere Prozessbevollmächtigte der Klägerin die Kündigung mangels Vorlage einer Vollmacht zurück. Die Kündigungsschutzklage ging am 8. Januar 2013 beim Arbeitsgericht Berlin ein und wurde am 15. Januar 2013 der Beklagten zugestellt.

Die Klägerin die Ansicht vertreten, dass ein betriebsbedingter Kündigungsgrund nicht vorliege, die Sozialauswahl und die Anhörung des Betriebsrates nicht ordnungsgemäß erfolgt sei und sie die Kündigung gem. § 174 BGB zurückweisen könne. Sie bestreite mit Nichtwissen, dass die Geschäftsführerin, Frau W., das Kündigungsschreiben unterzeichnet habe. Ferner bestreite sie mit Nichtwissen, dass Herr F. ordnungsgemäß zum Betriebsratsvorsitzenden gewählt wurde und dieser am 6. Dezember 2012 das Empfangsbekenntnis zur Betriebsratsanhörung unterzeichnet habe. Im Übrigen hat die Klägerin gemeint, die Kündigungsfrist sei unzutreffend berechnet worden, da ihr eine gesetzliche Kündigungsfrist von sieben Monaten zum Monatsende zustehe. Das Arbeitsverhältnis könne daher allenfalls zum 31.7.2013 aufgelöst werden.

Hinsichtlich des übrigen Vorbringens der Parteien in der I. Instanz wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils verwiesen.

Unter dem 8. August 2013 hat das Arbeitsgericht Berlin die Klage im Wesentlichen abgewiesen, jedoch festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis bis zum 31. Juli 2013 bestanden hätte. Die Kündigung sei an sich gem. § 1 KSchG wegen der beabsichtigten Betriebsstilllegung wirksam. Tatsächlich sei der Betrieb auch stillgelegt worden. Im Übrigen habe die unternehmerische Entscheidung sich auch im Interessenausgleich und Sozialplan manifestiert. Soweit die Klägerin mit Nichtwissen bestreite, dass die Geschäftsführerin das Kündigungsschreiben und der Betriebsratsvorsitzende das Empfangsbekenntnis unterzeichnet habe, sei dies rechtlich unbeachtlich, denn das Bestreiten sei ins Blaue hinein erfolgt. Die an sich wirksame Kündigung könne gem. § 622 Abs. 2 BGB das Arbeitsverhältnis jedoch erst mit einer Frist von sieben Monaten zum Ende eines Kalendermonats beenden. Die Erklärung der Beklagten im Kündigungsschreiben könne umgedeutet werden. Insofern sei festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis erst zum 31. Juli 2013 beendet worden sei.

Gegen dieses Urteil haben sowohl die Klägerin als auch die Beklagte Berufung eingelegt.

Die Klägerin ist weiterhin der Ansicht, sie könne die Echtheit der Unterschrift der Geschäftsführerin und des Betriebsrates mit Nichtwissen bestreiten. Die Kündigungsfrist sei ...

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