Entscheidungsstichwort (Thema)

Streikaufruf

 

Leitsatz (amtlich)

1. Verstöße gegen das Neutralitätsgebot im Arbeitskampf aus § 74 Abs. 2 Satz 1 BetrVG können wegen ihrer unmittelbaren Auswirkungen auf den Arbeitskampf einen Unterlassungsanspruch des Arbeitgebers gegen einzelne Betriebsratsmitglieder begründen.

2. Aus dem Neutralitätsgebot nach § 74 Abs. 2 Satz 1 BetrVG ergibt sich, dass das einzelne Betriebsratsmitglied nicht die Sachmittel des Betriebsrats für Arbeitskampfmaßnahmen nutzen darf. Dies bedeutet auch, dass es nicht über einen Mail-Account, der ihm für seine Betriebsratsarbeit eingerichtet wurde, Streikaufrufe der Gewerkschaft verbreiten darf. Das Recht auf gewerkschaftliche Betätigung von Funktionsträgern nach § 74 Abs. 3 BetrVG steht dem nicht entgegen.

 

Normenkette

BetrVG § 74 Abs. 2, §§ 40, 74 Abs. 3

 

Verfahrensgang

ArbG Berlin (Beschluss vom 14.07.2011; Aktenzeichen 1 BV 6960/11)

 

Nachgehend

BAG (Beschluss vom 15.10.2013; Aktenzeichen 1 ABR 31/12)

 

Tenor

I. Die Beschwerde der Beteiligten zu 3) und 4) gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Berlin vom 14.07.2011 – 1 BV 6960/11 – wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass den Beteiligten zu 3) und 4) aufgegeben wird, es zu unterlassen, die dem Beteiligten zu 2) von der Beteiligten zu 1) zur Verfügung gestellten sachlichen Mittel, insbesondere die Telefonanlage und Email-Accounts für den Aufruf und die Durchführung eines Streiks der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di zu nutzen, insbesondere im Streikaufruf der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di die Durchwahltelefonnummern des Beteiligten zu 3 und 4 anzugeben.

II. Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

 

Gründe

Die Beteiligten streiten – soweit für das Beschwerdeverfahren relevant – darüber, ob die Beteiligten zu 3.) und 4.), beides Betriebsräte, es unterlassen haben, die dem Betriebsrat zur Verfügung gestellten sachlichen Mittel, insbesondere die Telefonanlage und die namensbezogenen E-Mail-Accounts für den Aufruf und die Durchführung eines Streiks der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di zu verwenden.

Die Beteiligte zu 1.) ist die Arbeitgeberin (im Folgenden: Arbeitgeberin), die ein Klinikum in Berlin betreibt, für das der Beteiligte zu 2.) als Betriebsrat mit einer Amtszeit bis 2014 gewählt wurde (im Folgenden: Betriebsrat). Vorsitzende des Betriebsrats ist der Beteiligte zu 3.) (im Folgenden: Betriebsratsvorsitzender), sein Stellvertreter ist der Beteiligte zu 4.) (im Folgenden: stellvertretender Betriebsratsvorsitzende). Der Betriebsratsvorsitzende, der zuvor vollständig freigestellt war, ist seit 2010 nur noch teilweise freigestellt, ansonsten ist er als Krankenpfleger in der Notaufnahme tätig. Der stellvertretende Betriebsratsvorsitzende ist seit etwa 1995 freigestelltes Betriebsratsmitglied und war zuvor Krankentransporteur.

Dem Betriebsrat wurde von der Arbeitgeberin ein E-Mail-Account mit der Adresse …. zur Verfügung gestellt. Daneben verfügen der Betriebsratsvorsitzende und der stellvertretende Betriebsratsvorsitzende über namensbezogene Accounts, die nach dem Muster vorname.nachname@….de aufgebaut sind. Die E-Mail-Korrespondenz des Betriebsrats und seiner Mitgliedern läuft in aller Regel nicht über die Adresse des Gremiums, sondern über die namensbezogenen Accounts, wobei in diesen Fällen die E-Mails mit einer Signatur abschließen, die wiederum aus Vorname, Nachname, Funktionsbezeichnung als Betriebsratsvorsitzender, stellvertretender Betriebsratsvorsitzender, Angabe von Telefon- und Faxnummer sowie personenbezogene E-Mail-Adresse und die Angabe der Arbeitgeberin besteht. Weiterhin ist das Betriebsratsbüro telefonisch über die Durchwahl …. zu erreichen, der Betriebsratsvorsitzende über die Nummer … und der stellvertretende Betriebsratsvorsitzende über die Nummer …. In ihrer Funktion als Krankenpfleger und Krankentransporteur hätten beide Beteiligten keinen eigenen Telefonanschluss.

Sowohl der Betriebsratsvorsitzende als auch sein Stellvertreter sind Mitglieder der Gewerkschaft ver.di. Diese führte zu Beginn des Jahres 2011 Tarifverhandlungen mit dem Konzern, zu dem die Arbeitgeberin zählt, auch für die hiesige Arbeitgeberin. Die Tarifverhandlungen mündeten in den Abschluss eines bis Ende 2012 gültigen Tarifvertrages. Im Rahmen dieser Tarifverhandlungen rief die Gewerkschaft ver.di für den 13.04.2011 zu einem Warnstreik auf. Der stellvertretende Betriebsratsvorsitzende übermittelte diesen Streikaufruf als Anlage zu einer E-Mail vom 11.04.2011, die er von seinem namensbezogenen E-Mail-Account absandte. In dieser E-Mail, für deren Einzelheiten auf Blatt 7 bis 9 der Akte Bezug genommen wird, rief „die Betriebsgruppe ver.di” alle Beschäftigten auf, sich an dem Warnstreik zu beteiligen”. Als Unterzeichner waren für die „Betriebsgruppe ver.di” sein Name und der Name des Betriebsratsvorsitzenden sowie deren Durchwahl-Nummern im Betriebsratsbüro und deren private Handynummern angegeben.

Mit Schreiben vom 15.04.2011 wandte sich die Arbeitgeberin an den Betriebsratsvorsitzenden und den stellvertretenden Betriebsr...

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