Entscheidungsstichwort (Thema)

Deutsche Gerichtsbarkeit. Algerische Botschaft. Zweigniederlassung. Gerichtsstandsvereinbarung

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Nach dem als Bundesrecht i.S.v. Art. 25 GG geltenden allgemeinen Völkergewohnheitsrecht sind Staaten der Gerichtsbarkeit anderer Staaten nicht unterworfen, soweit ihre hoheitliche Tätigkeit von einem Rechtsstreit betroffen ist. Arbeitsrechtliche Streitigkeiten zwischen Botschaftsangestellten und dem betreffenden Staat unterliegen der deutschen Gerichtsbarkeit nicht, wenn der Arbeitnehmer für den anderen Staat hoheitlich tätig war. Die Tätigkeit als Fahrer ist keine hoheitliche Tätigkeit.

2. Eine internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte kann sich aus Art. 18, 19 EuGVVO ergeben. Dies setzt voraus, dass die Botschaft, für die der Arbeitnehmer tätig war, eine Zweigniederlassung, Agentur oder sonstige Niederlassung darstellt. Nur dann kann der Arbeitgeberstaat wie ein Arbeitgeber mit Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedsstaats behandelt werden.

3. Die Frage, ob eine internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte nach Art. 18, 19 EuGVVO aufgrund einer vertraglichen Gerichtsstandsvereinbarung ausgeschlossen wurde, hängt von der Auslegung des Art. 21 Nr. 2 EuGVVO ab.

 

Normenkette

AEUV Art. 267; EuGVVO Art. 18-20; GVG §§ 18-20; ZPO §§ 38-39

 

Verfahrensgang

ArbG Berlin (Aktenzeichen 86 Ca 13143/07)

 

Tenor

Dem Gerichtshof der Europäischen Union werden gem. Art. 267 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) folgende Fragen vorgelegt:

  1. Handelt es sich bei der in einem Mitgliedsstaat gelegenen Botschaft eines Staates, der außerhalb des Anwendungsbereichs der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 vom 22. Dezember 2000 des Rates über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (EuGVVO) gelegen ist, um eine Zweigniederlassung, Agentur oder sonstige Niederlassung im Sinne von Art. 18 Abs. 2 EuGVVO?
  2. Falls der Gerichtshof die Frage zu 1. bejaht:

    Kann eine vor dem Entstehen der Streitigkeit getroffene Gerichtsstandsvereinbarung die Zuständigkeit eines Gerichts außerhalb des Anwendungsbereichs der EuGVVO begründen, wenn durch die Gerichtsstandsvereinbarung die nach Art. 18, 19 EuGVVO begründete Zuständigkeit entfallen würde.

 

Tatbestand

A. Gegenstand und Sachverhalt des Ausgangsverfahrens

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer von der Beklagten ausgesprochenen ordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses, über Annahmeverzugslohnansprüche und Weiterbeschäftigung.

Der Kläger ist algerischer Herkunft. Er besitzt die algerische und die deutsche Staatsangehörigkeit, beherrscht neben der deutschen die arabische und die französische Sprache und wohnt in Berlin. Die Beklagte ist die Demokratische Volksrepublik A.. Sie beschäftigte den Kläger auf der Grundlage eines in französischer Sprache verfassten Arbeitsvertrages seit September 2002 als Kraftfahrer in ihrer Berliner Botschaft. Der Vertrag sieht für Meinungsverschiedenheiten und Streitigkeiten die Zuständigkeit der algerischen Gerichte vor.

Dem Kläger oblag es, Gäste und Mitarbeiter – vertretungsweise auch den Botschafter – zu fahren. Ferner hatte er die Korrespondenz der Botschaft zu deutschen Stellen und zur Post zu befördern. Diplomatenpost wurde von einem weiteren Mitarbeiter der Botschaft entgegengenommen bzw. weitergeleitet, der seinerseits vom Kläger gefahren wurde. Zwischen den Parteien ist streitig, ob der Kläger auch Dolmetscherdienste leistete.

Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis Ende August 2007 zum 30. September 2007.

Der Kläger begehrt die Feststellung, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung nicht aufgelöst worden ist; er verlangt ferner die Verurteilung der Beklagten zur Zahlung einer Annahmeverzugsvergütung sowie zur vorläufigen Beschäftigung. Die Beklagte hält die Klage für unzulässig. Die deutsche Gerichtsbarkeit erstrecke sich nicht auf den Kläger, der für sie – die Beklagte – hoheitlich tätig geworden sei. Die algerischen Gerichte seien aufgrund der getroffenen Gerichtsstandsvereinbarung zuständig.

 

Entscheidungsgründe

B. Nationale Vorschriften

I. Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland (BGBl. 1949 S. 1)

Artikel 25

Die allgemeinen Regeln des Völkerrechtes sind Bestandteil des Bundesrechtes. Sie gehen den Gesetzen vor und erzeugen Rechte und Pflichten unmittelbar für die Bewohner des Bundesgebietes.

II. Gerichtsverfassungsgesetz (GVG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 9. Mai 1975 (BGBl. I S. 1077)

§ 18

Die Mitglieder der im Geltungsbereich dieses Gesetzes errichteten diplomatischen Missionen, ihre Familienmitglieder und ihre privaten Hausangestellten sind nach Maßgabe des Wiener Übereinkommens über diplomatische Beziehungen vom 18. April 1961 (BGBl. l. 1964 II S. 957ff.) von der deutschen Gerichtsbarkeit befreit. Dies gilt auch, wenn ihr Entsendestaat nicht Vertragspartei dieses Übereinkommens ist; in diesem Falle findet Artikel 2 des Gesetzes vom 6. August 1964 zu dem Wiener Übereinkommen vom 18. April ...

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