Entscheidungsstichwort (Thema)

Prozesskostenhilfe bei Anspruchsübergang auf Sozialleistungsträger. Bewilligungsreife. Entscheidungreife. Begriff der Erfolgsaussicht der Rechtsverfolgung i.S. von § 114 S. 1 ZPO. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Bewilligung der Prozesskostenhilfe

 

Leitsatz (amtlich)

1. Im Falle einer zeitnah anberaumten Güteverhandlung darf das Arbeitsgericht diese vor einer Bewilligung von Prozesskostenhilfe abwarten. Sie ist dann regelmäßig die im arbeitsgerichtlichen Verfahren maßgebliche früheste Gelegenheit für das Gericht, anhand der Stellungnahmen der Parteien die Erfolgsaussichten einzuschätzen.

2. Erfolgsaussicht ist gegeben, wenn der von dem Antragsteller eingenommene Standpunkt zumindest vertretbar erscheint und eine Beweisführung möglich ist. Es kommt auf die rechtliche und tatsächliche Würdigung des zur Entscheidung berufenen Gerichts an. Teilt die klagende Partei mit, dass sie Sozialleistungen beziehe oder bezogen habe, kann das Gericht das nicht unbeachtet lassen. Soweit ein Anspruchsübergang unstreitig ist, kommt eine Bewilligung von Prozesskostenhilfe nicht in Betracht. Anders wird zu entscheiden sein, wenn die Höhe des Anspruchsübergangs umstritten ist (zur Darlegungs- und Beweislast in solchen Konstellationen ausführlich: Maul-Sartori BB 2010, 3021, 3025 f.).

3. Abgrenzung der Bewilligungsreife, bei der es darum geht, auf welchen Zeitpunkt die Bewilligung von Prozesskostenhilfe zurückwirken kann, von der Entscheidungsreife, für die es darauf ankommt, zu welchem Zeitpunkt das Gericht in der Lage ist, die Erfolgsaussichten für die Entscheidung über den Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe zu beurteilen.

4. Zurückverweisung wegen noch nicht erfolgter Entscheidung über die Beiordnung nach § 11 a Abs. 1 Satz 1 ArbGG.

 

Normenkette

ArbGG § 11a; ZPO §§ 114 ff.; SGB X § 115

 

Verfahrensgang

ArbG Berlin (Entscheidung vom 21.06.2012; Aktenzeichen 27 Ca 6769/12)

 

Tenor

1. Die sofortige Beschwerde der Klägerin gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Berlin vom 21. Juni 2012 - 27 Ca 6769/12 - wird zurückgewiesen, soweit die Entscheidung die Bewilligung von Prozesskostenhilfe nach § 11a Abs. 3 ArbGG iVm. § 114 ff. ZPO betrifft. Im Übrigen wird die Sache zur bisher nicht erfolgten Entscheidung über eine Beiordnung nach § 11a Abs. 1 Satz 1 ArbGG an das Arbeitsgericht zurückverwiesen.

2. Die Gebühr wird auf die Hälfte reduziert.

3. Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.

 

Gründe

I. Die Parteien streiten über Entgeltansprüche für die Monate Januar bis Mitte März 2012 in Höhe von insgesamt 2.500 Euro brutto.

Zwischen den Parteien bestand bis zum 15. März 2012 ein Arbeitsverhältnis. Sie hatten eine Vergütung in Höhe von 1.000 Euro brutto monatlich vereinbart. Unter den Parteien ist streitig, ob die Beklagte der Klägerin für den Monat Januar 2012 einen Betrag in Höhe von 751,27 Euro netto ausgezahlt hat. Für die Zeit ab dem 1. Februar 2012 bewilligte das zuständige Jobcenter der Klägerin zunächst Leistungen nach dem SGB II in Höhe von 779 Euro monatlich. Für die Zeit ab dem 16. März 2012 bewilligte die Bundesagentur für Arbeit der Klägerin Arbeitslosengeld. Bereits mit Schreiben vom 24. Februar 2012 hatte das Jobcenter der Beklagten einen Anspruchsübergang nach § 115 SGB X mitgeteilt. Gleiches erfolgte seitens der Bundesagentur im Hinblick auf das der Klägerin gewährte Arbeitslosengeld mit Schreiben vom 28. März 2012. Mit Schreiben vom 2. April 2012 teilte die Beklagte dem Jobcenter mit, dass für den Monat Februar ein Betrag in Höhe von 751,27 Euro netto und für März 2012 in Höhe von 375,76 Euro anerkannt werde.

Das Arbeitsgericht bewilligte für einen Betrag in Höhe von 2.000 Euro brutto (Monate Januar und Februar) abzüglich 1.558 Euro (im Hinblick auf die SGB II-Leistungen) Prozesskostenhilfe und wies den Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe im Übrigen zurück. Hinsichtlich der für den Monat März begehrten Vergütung in Höhe von 500 Euro brutto bewilligte es keine Prozesskostenhilfe im Hinblick auf der Klägerin für den Monat März gezahlte Sozialleistungen.

Die Klägerin hat gegen den ihr am 21. Juni 2012 zugestellten Beschluss mit einem bei dem Arbeitsgericht am 26. Juni 2012 eingegangenen Schriftsatz sofortige Beschwerde eingelegt, soweit in ihm der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe zurückgewiesen worden ist. Zur Begründung hat sie ausgeführt, das Arbeitsgericht hätte nicht auf die Kenntnisse zum Zeitpunkt der Bewilligung, sondern die zum Zeitpunkt der Entscheidungsreife abstellen müssen. Das sei der Zeitpunkt, zu dem eine schlüssige Begründung sowie eine Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse vorgelegt worden sei und die Gegenseite Gelegenheit zur Stellungnahme gehabt habe. Der vollständige Antrag habe mit Schriftsatz vom 31. März 2012 vorgelegen. Zu diesem Zeitpunkt habe hinreichende Erfolgsaussicht bezüglich der gesamten Klageforderung vorgelegen. Die Klägerin habe nicht wissen können, aus welchem Grund die Zahlung der Vergütung unterblieben sei. Das h...

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