Entscheidungsstichwort (Thema)

Tendenzbetrieb und Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates in sozialen Angelegenheiten

 

Leitsatz (amtlich)

Das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates gemäß § 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG wird durch § 8 Abs. 1 der Verordnung über die Arbeitszeit in Krankenpflegeanstalten vom 13.2.1924 nicht eingeschränkt.

 

Normenkette

BetrVG § 87 Abs. 1 Nr. 2, § 118 Abs. 1 Nr. 1; KrAZO § 3 Abs. 1

 

Verfahrensgang

ArbG Berlin (Beschluss vom 18.08.1989; Aktenzeichen 36 BV 9/89)

 

Tenor

Die befristete Beschwerde der Antragsgegnerin gegen den Beschluß des Arbeitsgerichts Berlin vom 18. August 1989 – 36 BV 9/89 – wird zurückgewiesen.

 

Tatbestand

I.

Die Antragsgegnerin betreibt in der Rechtsform einer Stiftung des bürgerlichen Rechts das …. In § 2 der Satzung heißt es:

„Zweck der Stiftung ist die Förderung des öffentlichen Gesundheitswesens und von Wissenschaft und Forschung. Zur Verwirklichung dieses Zwecks soll die Stiftung insbesondere durch ihre Einrichtungen die stationäre Versorgung, insbesondere bei Herzerkrankungen, durch qualitativ herausragende Leistungen erfüllen, in der wissenschaftlichen Forschung, insbesondere auf dem Gebiet der Herzchirurgie und der kardiologischen Medizin, tätig sein, Aus- und Weiterbildung auf diesen Gebieten betreiben, nationale und internationale Verbindungen durch ständigen Kontakt mit in- und ausländischen Herzzentren pflegen, dadurch den neuesten Stand der Entwicklung gewährleisten und hierzu eigene Beiträge einbringen sowie eine enge Kooperation mit der Freien Universität Berlin unterhalten. …”

Das von der Stiftung unterhaltene Krankenhaus wird als Zweckbetrieb im Sinne von § 67 der Abgabenordnung geführt.

Antragsteller ist der im Betrieb der Antragsgegnerin gebildete Betriebsrat.

Im Mai 1989 leitete die Pflegedienstleiterin der Antragsgegnerin eine Änderung der Dienstzeiten auf den Stationen H 1, H 2 und HIM ein, wodurch die Übergabezeiten zwischen den Schichten verkürzt und der Arbeitsbeginn bzw. das Arbeitsende teilweise abgeändert werden sollten, und zwar wie folgt:

H 1:

neu

alt

F

6.00–14.30 Uhr (8,5 Std.)

6.00–14.30 Uhr (8,5 Std.)

S

14.00–22.30 Uhr (8,5 Std.)

13.00–21.30 Uhr (8,5 Std.)

N

22.00–6.30 Uhr (8,5 Std.)

20.30–6.30 Uhr (10 Std.)

H 2:

neu

alt

F

6.00–14.30 Uhr (8,5 Std.)

6.00–14.30 Uhr (8,5 Std.)

S

14.00–22.30 Uhr (8,5 Std.)

13.00–21.30 Uhr (8,5 Std.)

N

22.00–6.30 Uhr (8,5 Std.)

20.30–6.30 Uhr (10 Std.)

HIM:

neu

alt

F

6.30–15.00 Uhr (8,5 Std.)

6.30–15.00 Uhr (8,5 Std.)

S

14.00–22.30 Uhr (8,5 Std.)

14.00–22.30 Uhr (8,5 Std.)

N

22.00–7.00 Uhr (9,0 Std.)

21.30–7.00 Uhr (9,5 Std.)

Der Betriebsrat teilte der Antragsgegnerin mit Schreiben vom 26. Mai 1989 mit, daß er der geplanten Dienstzeitänderung für das Pflegepersonal nicht zustimme. Nachdem in der Folgezeit Einigungsversuche zwischen den Beteiligten gescheitert waren, wurde die Dienstplanänderung mit Wirkung vom 12. Juni 1989 in Kraft gesetzt.

Mit seiner am 29. Juli 1989 beim Arbeitsgericht Berlin eingegangenen Antragsschrift hat der Betriebsrat zunächst unter Hinweis auf § 23 Abs. 3 BetrVG die Unterlassung der Durchführung der Dienstpläne begehrt sowie im Falle der Zuwiderhandlung gegen eine rechtskräftige gerichtliche Entscheidung die Verhängung eines Ordnungsgeldes verlangt, indem er sich auf den Standpunkt gestellt hat, daß die Antragsgegnerin bei der Änderung der Dienstpläne sein ihm zustehendes Mitbestimmungsrecht gemäß § 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG verletzt habe. Weder der Tendenzschutz des § 118 BetrVG noch § 3 der Verordnung über die Arbeitszeit in Krankenpflegeanstalten vom 13. Februar 1924 (KrAZO) stünden, so hat der Betriebsrat ausgeführt, seinem Mitbestimmungsrecht entgegen. Bei der Änderung der Dienstpläne handele es sich um eine tendenzneutrale Maßnahme.

Nachdem das Antragsbegehren des Betriebsrates von ihm teilweise zurückgenommen worden war, hat er beantragt,

  1. festzustellen, daß die Antragsgegnerin bei der Änderung der Dienstpläne betreffend die Stationen H 1, H 2 und HIM in der Fassung ab 12.6.1989 das Mitbestimmungsrecht des Antragstellers gemäß § 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG verletzt hat;

    hilfsweise,

  2. der Antragsgegnerin aufzugeben, die Durchführung der Dienstplanänderung auf den Stationen H 1, H 2 und HIM in der Fassung ab 12.6.1989 zu unterlassen.

Die Antragsgegnerin hat beantragt,

die Anträge zurückzuweisen.

In der mündlichen Verhandlung vor dem Arbeitsgericht hat sie am 18. August 1989 erklärt, sich einem rechtskräftigen Beschluß zugunsten des Betriebsrates unterwerfen zu wollen. Im übrigen hat sie die Auffassung vertreten, daß dem Betriebsrat ein erzwingbares Mitbestimmungsrecht nicht zustehe.

Das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates gemäß § 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG werde durch die als vorkonstitutionelles Recht fortgeltende Regelung des § 3 Abs. 1 KrAZO verdrängt. Es handele sich insoweit um eine spezialgesetzliche Regelung, die der besonderen Situation in Krankenpflegeanstalten Rechnung trage und die deshalb die allgemeine Norm des § 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG als Spezialregelung verdränge. Auch wenn § 3 KrAZO die Arbeitsz...

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