Entscheidungsstichwort (Thema)

Anfechtung der Aufsichtsratswahl, Verfassungsgemäßheit der Quoren für Stützunterschriften. Verfassungsmäßigkeit von § 12 Abs. 1 MitbestG

 

Leitsatz (amtlich)

Die Regelung in § 12 Abs. 1 MitbestG, nach der ein Wahlvorschlag von 10 % oder 100 wahlberechtigten Arbeitnehmern unterstützt werden muß, ist angesichts der spezifischen Besonderheiten der Aufsichtsratswahlen und deren besonderer Ausgestaltung verfassungsgemäß. Sie verstößt nicht gegen die Grundsätze der allgemeinen und gleichen Wahl und auch nicht gegen Art. 9 Abs. 3 GG. Grundlegende Unterschiede zwischen Betriebsverfassungs- und Personal Vertretungsrecht und dem Recht der Unternehmensmitbestimmung berechtigen den Gesetzgeber, unterschiedliche Wahlvorschriften zu erlassen.

Die Aussetzung des Verfahrens über die Anfechtung der Aufsichtsratswahl bis zur Entscheidung eines Verfahrens über die Anfechtung einer Delegiertenwahl kommt zumindest dann nicht in Betracht, wenn in beiden Verfahren die Gültigkeit der zugrundeliegenden gesetzlichen Bestimmung entscheidend ist.

 

Normenkette

MitbestG § 12 Abs. 1; 3. WO zum MitbestG. § 74 Abs. 1 Nr. 1; 3. WO zum MitbestG. § 74 Abs. 1 Nr. 3; ZPO § 148

 

Verfahrensgang

ArbG Berlin (Beschluss vom 19.12.1995; Aktenzeichen 90 BV 25207/95)

 

Nachgehend

BVerfG (Beschluss vom 12.10.2004; Aktenzeichen 1 BvR 2130/98)

 

Tenor

Die Beschwerde der Beteiligten zu 1) bis 16) gegen den Beschluß des Arbeitsgerichts Berlin vom 19. Dezember 1995 – 90 BV 25207/95 – wird zurückgewiesen.

Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

 

Tatbestand

I.

In dem Konzern der Deutschen Bahn AG sind mehr als 358.000 Arbeitnehmer beschäftigt. Die betriebliche Gliederung ist in einem Tarifvertrag zur Zuordnung von Betriebsteilen und Nebenbetrieben geregelt. Gegenstand des vorliegenden Verfahrens ist die Anfechtung der am 10.08.1995 durchgeführten Wahlen für die Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat.

Bei Beginn des Wahlverfahrens im Januar 1995 bestanden 136 Konzernunternehmen, das Unternehmern der Deutschen Bahn AG gliederte sich zu diesem Zeitpunkt in 731 Betriebe. Als die Delegiertenzahlen im April 1995 festgelegt wurden, bestanden noch 107 Konzernunternehmen sowie 727 Betriebe der Deutschen Bahn AG, in denen Unternehmenswahlvorstände bzw. Betriebswahlvorstände gebildet waren. Im Zeitpunkt der Aufsichtsratswahl am 10.08.1995 betrug die Zahl der Konzernunternehmen 61, es bestanden noch 721 Betriebe im Bereich der Deutschen Bahn AG (vgl. die Aufstellung Bl. 308 bis 326 in Band II d. A.).

Bei der Aufsichtsratswahl vom 10.08.1995 waren insgesamt 10 Arbeitnehmervertreter zu wählen, hiervon waren 2 Vertreter der Arbeiter, 4 Vertreter der nichtleitenden Angestellten, 1 Vertreter der leitenden Angestellten und 3 Vertreter von Gewerkschaften. Bei den Delegiertenwahlen wurden 2.119 Delegierte der Arbeiter und 3.026 Delegierte der Angestellten gewählt (vgl. die Niederschriften Bl. 124 bis 139 in Band I d.A.).

Im Rahmen der Delegiertenwahl war für jeden Wahl Vorschlag für Delegierte die Beifügung von Stützunterschriften im Umfange von einem Zehntel der jeweils Wahlberechtigten, höchstens jedoch 100 erforderlich, § 12 Abs. 1 Mitbestimmungsgesetz in Verbindung mit § 74 Abs. 1 Ziff. 1 bis 3 3. Wahlordnung. In den Wahlausschreiben der Betriebswahlvorstände wurde der 24.05.1995 als letzter Termin für die Einreichung der Wahlvorschläge bestimmt. In einem Wahl-Info Nr. 6 vom 03.05.1995 wies der Bundesvorstand der Beteiligten zu 1) seine Bezirksvertreter auf die Bedenken hinsichtlich der Verfassungsgemäßheit der Quoren nach § 12 Abs. 1 Mitbestimmungsgesetz hin und erläuterte sein Vorgehen in den Wahlbetrieben (auf die Einzelheiten des Wahl-Infos Bl. 261, 262 in Band I d.A. wird hingewiesen).

Die Delegiertenwahlen in 8 Betrieben mit insgesamt 52 Delegierten sind angefochten worden. Es handelt sich hierbei um folgende Betriebe:

Wahlbetrieb BKL (HH/S-H), Museumsstraße 39, 22765 Hamburg, Arbeitsgericht Berlin 21 BV 21004/95.

Betroffen ist ein Delegierter.

Niederlassung Hamburg/Harburg GB Netz, Hannoversche Str. 85

21079 Hamburg,

Arbeitsgericht Berlin 22 BV 21000/95.

Betroffen sind 11 Delegierte.

Niederlassung Netz Saarbrücken, Viktoriastraße 51, 66111 Saarbrücken, Arbeitsgericht Berlin 58 BV 21005/95. Betroffen sind 7 Delegierte.

Geschäftsbereich Ladungsverkehr, Regionalbereich Kassel, Bertha-von-Suttner-Str. 3, 34131 Kassel, Arbeitsgericht Berlin 59 BV 21002/95. Betroffen sind 4 Delegierte.

Wahlbetrieb Ladungsverkehr Bamberg-Hof, Schwarzenbergstraße 31, 96050 Bamberg, Arbeitsgericht Berlin 86 BV 21001/95. Betroffen sind 7 Delegierte.

Wahlbetrieb Regionalbereich Ladungsverkehr, Werftstraße 2, 23554 Lübeck, Arbeitsgericht Berlin 86 BV 24929/95. Betroffen sind 6 Delegierte.

Niederlassung Netz Mainz N VIII 82, Bahnhofsplatz 1, 65187 Wiesbaden, Arbeitsgericht Berlin 90 BV 21156/95. Betroffen sind 12 Delegierte.

Wahlbetrieb NL Netz Regensburg, Wahlbetrieb Schwandorf N XIV 138, Bahnhofsplatz 1, 92421 Schwandorf, Arbeitsgericht Berlin 91 BV 21003/95. Betroffen sind 4 Delegierte.

Bei den Abs...

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