Entscheidungsstichwort (Thema)

Anspruch eines Arbeitnehmers auf Zahlung von Weihnachts- und Urlaubsgeld für Zeiträume bei mehrjähriger Erkrankung ohne Anspruch auf Entgeltfortzahlung

 

Leitsatz (amtlich)

1. Mit welchem Inhalt eine konkludente Vertragsänderung durch vorbehaltlose Zahlung einer Sonderzahlung zustande gekommen ist, ist durch Auslegung zu ermitteln. Maßgeblich ist dabei der ebenfalls durch Auslegung zu ermittelnde verfolgte Zweck der Sonderzahlung (BAG, Urt. v. 13.5.2015 - 10 AZR 266/14).

2. Die Beweislast für die maßgeblichen Tatsachen, die zur Auslegung einer konkludenten vertraglichen Vereinbarung über Sonderzahlungen entweder als Vergütung für geleistete Arbeit einerseits oder andererseits als Zahlung, mit der (auch) andere Zwecke verfolgt werden trägt jeweils derjenige, der sich auf entsprechende Voraussetzungen der Sonderzahlung beruft.

3. Macht der Arbeitnehmer geltend, dass ihm der Anspruch auf Zahlung eines "Weihnachtsgeldes" auch bei mehrjähriger Erkrankung ohne Entgeltfortzahlung zusteht, da es sich um eine Vergütung mit Mischcharakter handelt, trägt er die Beweislast für einen solchen Inhalt einer vertraglichen Vereinbarung bzw. betrieblichen Übung.

 

Normenkette

BGB §§ 611 a, 133, 157

 

Verfahrensgang

ArbG Villingen-Schwenningen (Entscheidung vom 14.02.2020; Aktenzeichen 3 Sa 74/19)

 

Tenor

  • I.

    Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Villingen-Schwenningen vom 14. Januar 2020, 3 Ca 74/19, abgeändert:

    1. Die Klage wird abgewiesen.
    2. Von den Kosten erster Instanz trägt die Klägerin 2/3, die Beklagte 1/3.
  • II.

    Von den Kosten der Berufung trägt die Klägerin 2/3, die Beklagte 1/3.

  • III.

    Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten in der Berufung zuletzt noch über die Frage, ob die Klägerin Anspruch auf Zahlung von Weihnachts- und Urlaubsgeld auch für Zeiträume hat, in denen sie ohne Anspruch auf Entgeltfortzahlung arbeitsunfähig erkrankt ist.

Erstinstanzlich stritten die Parteien darüber hinaus um die Erteilung eines Zwischenzeugnisses und der Entfernung einer Abmahnung vom 06.06.2018 aus der Personalakte. Diesbezüglich haben die Parteien den Rechtsstreit in der Berufungsverhandlung übereinstimmend für erledigt erklärt.

Die Klägerin ist auf der Grundlage eines schriftlichen Arbeitsvertrages seit 04.09.2000 als Hilfskraft beschäftigt. Unter § 6 des Arbeitsvertrages (Anlage K 1) ist geregelt:

Für den Jahresurlaub gelten die Betriebsvereinbarungen ebenso für Sonderzahlungen.

Die Klägerin hat zuletzt monatsdurchschnittlich 2.300,00 € brutto in Vollzeit vergütet erhalten. Die Klägerin ist seit dem 29.06.2016 durchgehend arbeitsunfähig, seit dem 11.08.2016 ohne Entgeltfortzahlung. Das Arbeitsverhältnis wurde im Jahr 2020 im Rahmen eines gerichtlichen Vergleichs beendet.

Die Beklagte beschäftigt ca. 250 Arbeitnehmer; ein Betriebsrat ist eingerichtet.

Die Beklagte hat unter Datum vom 07.01.2019 eine Betriebsvereinbarung (Abl. 103 der erstinstanzlichen Akte) mit dem bei ihr bestehenden Betriebsrat geschlossen, die eine Regelung über Sonderzahlungen und Jubiläumszuwendungen enthält.

Dort ist geregelt:

3. Vorbemerkung

Die etwaige Gewährung von Sonderzahlungen und Nebenleistungen, wie etwa Gratifikationen, Prämien und sonstige einmalige Leistungen (z.B. Weihnachts- und Urlaubsgeld), liegt im freien Ermessen des Arbeitgebers. Gewährt der Arbeitgeber derartige Leistungen, ist dies eine freiwillige Leistung, auf die kein Rechtsanspruch besteht....

4. Auszahlung & Rückzahlung

Sofern eine Sonderzahlung oder Nebenleistung gewährt wird gilt für die Auszahlung folgendes:

1) Die Sonderzahlungen dienen als Ansporn für künftige Betriebstreue und werden, wenn sie gewährt werden, mit dem Juni-, Juli- und Augustgehalt bzw. dem Novembergehalt ausgezahlt. Die Auszahlung ist ausgeschlossen, wenn das Arbeitsverhältnis vor dem Stichtag endet. Anteilige Zahlungen werden nicht gewährt.

2) Eine Auszahlung der Sonderzahlung entfällt auch, wenn sich das Arbeitsverhältnis am Stichtag in gekündigtem Zustand befindet.

3) Eine mit dem Juni-, Juli- oder Augustgehalt gewährte Sonderzahlung ist zurückzuzahlen, wenn der Arbeitnehmer bis zum 30. September des laufenden Kalenderjahres aus dem Arbeitsverhältnis ausscheidet....

4) Eine mit dem Novembergehalt gezahlte Sonderzahlung ist zurückzuzahlen, wenn der Arbeitnehmer bis zum 31. März des auf die Auszahlung folgenden Kalenderjahres... aus dem Arbeitsverhältnis ausscheidet.

5) Für die Zeit des Ruhens des Arbeitsverhältnisses wird keine Sonderzahlung gewährt....

6) Für Zeiten, in denen der Arbeitnehmer arbeitsunfähig krank ist, ist der Arbeitgeber berechtigt, etwaige Sonderzahlungen gemäß § 4a EFZG für jeden Tag der Arbeitsunfähigkeit insgesamt um ein Viertel des Arbeitsentgelts zu kürzen, dass im Jahresdurchschnitt auf einen Arbeitstag entfällt.

8. Inkrafttreten/Kündigung

Die vorliegende Betriebsvereinbarung löst alle bisherigen Vereinbarungen zu Sonderzahlungen.

Die Klägerin hat seit dem Jahr 2001 Weihnachtsgeld erhalten, in jenem Jahr in Höhe von 1.028,00 DM. Auf dem insowei...

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