Entscheidungsstichwort (Thema)

Inhalt und Umfang der Nachbearbeitungspflicht des Versicherers bei notleidenden Lebensversicherungsverträgen. Stornogefahrmitteilungspflicht gegenüber einem angestellten Versicherungsvertreter vor und nach seinem Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis

 

Leitsatz (amtlich)

1. Der Versicherer hat die Nichtausführung eines provisionspflichtigen Geschäftes gemäß § 87a Absatz 3 Satz 2 HGB zu vertreten, wenn er die gebotene Nachbearbeitung eines notleidenden Vertrages unterläßt.

2. Solange das Arbeitsverhältnis mit einem angestellten Versicherungsvertreter besteht, ist der Versicherer gehalten, diesem rechtzeitig Stornogefahrmitteilungen zukommen zu lassen, damit dieser persönlich aufgrund seiner Kontakte zu dem Versicherungsnehmer alle Möglichkeiten zur Aufrechterhaltung des Vertrages einsetzen kann.

3. Nach dem Ausscheiden des Versicherungsvertreters aus dem Anstellungsverhältnis ist dem Versicherer die Übersendung von Stornogefahrmitteilungen an diesen nicht mehr zumutbar, weil die Gefahr nicht von der Hand zu weisen ist, daß er die Gelegenheit nutzt, den Versicherungsnehmer für ein Konkurrenzunternehmen abzuwerben. Für diese Rechtsauffassung sprechen auch gewichtige praktische Gründe (in Anlehnung an OLG Schleswig-Holstein MDR 1984, 760; LAG Frankfurt NJW 1982, 254 – gegen OLG Köln NJW 1978, 327).

4. Gleichwohl ist der Versicherer auch nach Ausscheiden des Versicherungsvertreters gehalten, andere geeignete Maßnahmen zur Bestandserhaltung gefährdeter Versicherungsverträge zu ergreifen. Bei ausgesprochenen Bagatellfällen, in denen es lediglich um die Rückzahlung geringer nicht verdienter Provisionsvorschüsse geht (etwa von weniger als DM 200,00 – in Anlehnung an die Gratifikations-Rechtsprechung des BAG AP Nr. 108 zu § 611 BGB Gratifikation) – werden in der Regel Erinnerungs- und Mahnschreiben sowie die Androhung einer Kündigung des Vertragsverhältnisses genügen (vergleiche LAG München LAGE Nr. 1 zu § 87a HGB).

 

Normenkette

HGB § 87a Abs. 3, § 92 Abs. 4

 

Verfahrensgang

ArbG Stuttgart (Urteil vom 18.01.2000; Aktenzeichen 7 Ca 7076/99)

 

Tenor

I. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Arbeitsgerichts Stuttgart vom 18.01.2000 – Aktenzeichen 7 Ca 7076/99 – abgeändert:

  1. Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin DM 366,28 nebst 7,2 % Zinsen hieraus seit dem 16.09.1999 zu zahlen.
  2. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
  3. Von den Kosten des Verfahrens hat die Klägerin 94/100, der Beklagte 6/100 zu tragen.

II. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.

III. Von den Kosten des Berufungsverfahrens hat die Klägerin 93/100, der Beklagte 7/100 zu tragen.

IV. Die Revision wird nur für den Beklagten zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten auch im zweiten Rechtszug über Ansprüche der Klägerin auf Rückzahlung angeblich nicht verdienter an den Beklagten bezahlter Provisionen.

Der Beklagte war bei der Klägerin, einem … in der Zeit vom 01.07.1995 bis 31.03.1997 als Agenturleiter, und in der Zeit vom 01.04.1997 bis 31.05.1998 als Inspektor in der Geschäftsstelle der Klägerin in … tätig. Der Tätigkeit des Beklagten als Agenturleiter lagen die im Schreiben der Klägerin vom 06.06.1995 (Anlage K 1 – Arbeitsgerichtsakte Bl. 20–25), der als Inspektor die im Schreiben vom 14.04.1997 (Anlage K 4 – Arbeitsgerichtsakte Bl. 41–44) zu Grunde. In beiden Schreiben wird auf die Bestimmungen der Tarifvereinbarungen vom 12.01.1970 in der jeweils gültigen Fassung (Arbeitsgerichtsakte Bl. 26–37) verwiesen.

Der Beklagte erhielt für die der Klägerin vermittelten Versicherungsverträge Abschlussprovisionen als Vorschusszahlungen, welche gemäß den arbeits- und tarifvertraglichen Bedingungen erst dann verdient sein sollten, wenn die Versicherung eingelöst und die fälligen Beiträge von den Versicherungsnehmern für einen bestimmten Zeitraum entrichtet sein würden.

Im Rahmen seiner Agenturleitertätigkeit hat der Beklagte folgende Versicherungsverträge vermittelt, und zwar:

  1. den mit der Versicherungs-Nr. 30.435.215 – … Das Versicherungsverhältnis begann im November 1996 mit einer Laufzeit von 28 Jahren. Die Versicherungsnehmerin kündigte die Versicherung mit Schreiben vom 09.09.1998 (Arbeitsgerichtsakte Bl. 111). Mit Schreiben vom 28.10.1998 (Arbeitsgerichtsakte Bl. 112) bestätigte die Klägerin die Kündigung des … zum 01.11.1998. Der Beklagte hatte für die Vermittlung dieses Vertrages eine Provision in Höhe von DM 1.050,– erhalten.
  2. den mit der Versicherungs-Nr. 30.434.621 – … Dieser Versicherungsvertrag begann im Dezember 1996 mit einer Laufzeit von 27 Jahren. Der Beklagte hatte für die Vermittlung des Vertrages eine Provision in Höhe von DM 1.215,– erhalten. Der Versicherungsnehmer beantragte mit Schreiben vom 15.10.1998 eine Beitragsfreistellung seines Vertrages, nachdem er 23 Monate lang die Versicherungsbeiträge bezahlt hatte.
  3. den mit der Versicherungs-Nr. 27.202.137 – …. Der Versicherungsvertrag begann im November 1996 mit einer Laufzeit von 16 Jahren. Der Beklagte hatte eine Provision in Höhe von DM 11,70 erhalten. Mit Schreiben v...

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