Entscheidungsstichwort (Thema)

Intransparenz von arbeitsvertraglichen Ausschluss- und Verfallfristen. Keine Geltung von Ausschussfristen für zugesagte und anerkannte Ansprüche durch Arbeitgeber. Prüfung der Unwirksamkeit von arbeitsvertraglichen AGB-Klauseln anhand des Verständnisses des Arbeitnehmers

 

Leitsatz (amtlich)

Eine allgemeine Geschäftsbedingung in einem Arbeitsvertrag, die eine Verfallfrist/Ausschlussfrist zum Gegenstand hat, ist nicht deshalb intransparent nach § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB und unwirksam, weil sie Ansprüche aus ihrem Anwendungsbereich nicht ausdrücklich ausnimmt, deren Erfüllung der Arbeitgeber zugesagt oder die er anerkannt oder streitlos gestellt hat. Ohne weitere Anhaltspunkte im Wortlaut ist die Klausel nicht irreführend hinsichtlich der wahren Rechtslage und suggeriert dem verständigen Arbeitnehmer auch nicht, er müsse den Anspruch auch in den genannten Fällen geltend machen (Abgrenzung zu BAG 3. Dezember 2019 - 9 AZR 44/19 -).

 

Normenkette

BGB § § 305 ff., § 307 Abs. 1 S. 2, § 202 Abs. 1, § 276 Abs. 3

 

Verfahrensgang

ArbG Mannheim (Entscheidung vom 09.11.2020; Aktenzeichen 11 Ca 22/20)

 

Nachgehend

BAG (Urteil vom 24.05.2022; Aktenzeichen 9 AZR 461/21)

 

Tenor

  1. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Mannheim vom 09. November 2020 - 11 Ca 22/20 - wird zurückgewiesen.
  2. Die Klägerin hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
  3. Die Revision wird zugelassen.
 

Tatbestand

Zwischen den Parteien ist noch nach Erledigterklärung im Übrigen der Anspruch auf Urlaubsabgeltung im Streit.

Die Klägerin war für die beklagte Rechtsanwältin vom 7. Januar 2019 an als Rechtsanwaltsfachangestellte gegen ein monatliches Arbeitsentgelt in Höhe von 1.300,00 Euro brutto mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von 25 Arbeitsstunden an fünf Tagen in der Woche tätig. Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis am 5. Juli 2019 zum 19. Juli 2019 (Bl. 12 der Akte des ArbG). Die Klägerin war seit dem 1. Juli 2019 bis zum Ende des Arbeitsverhältnisses arbeitsunfähig erkrankt.

Der Arbeitsvertrag der Parteien vom 19. Dezember 2018 lautet auszugsweise (Bl. 5ff. der Akte des ArbG):

§ 5 Urlaub

Der Urlaubsanspruch beträgt 24 Arbeitstage, wobei zur Berechnung des Urlaubsanspruchs die Arbeitswoche fünf Tage umfaßt.

...

§ 15 Verfallfristen-/Ausschlussfristen

Alle Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis verfallen, wenn sie nicht innerhalb einer Ausschlussfrist von drei Monaten nach ihrer Fälligkeit gegenüber dem Vertragspartner in Textform geltend gemacht werden und im Falle der Ablehnung durch den Vertragspartner innerhalb von weiteren drei Monaten eingeklagt werden. Hiervon unberührt bleiben Ansprüche, die auf Handlungen wegen Vorsatz oder grober Fahrlässigkeit beruhen.

Die Ausschlussfrist gilt nicht für den Anspruch eines Arbeitnehmers/in auf den gesetzlichen Mindestlohn. Über den Mindestlohn hinausgehende Vergütungsansprüche des Arbeitnehmers unterliegen hingegen der vereinbarten Ausschlussfrist.

Bleibt die Geltendmachung erfolglos, erlöschen sie, wenn der Anspruch nicht innerhalb einer weiteren Frist von drei Monaten nach der schriftlichen Geltendmachung gerichtlich anhängig gemacht wird.

Die der Beklagten am 23. Januar 2020 zugestellte Klage vom 16. Januar 2020 bezieht sich auf die Abgeltung von zehn Urlaubstagen. Mit der der Beklagten am 29. Februar 2021 zugestellten Klageerweiterung vom 25. Februar 2020 verfolgt die Klägerin die Abgeltung von 30 Urlaubstagen.

Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, die arbeitsvertragliche Verfallklausel sei intransparent insoweit, als sie Ansprüche aus einer Persönlichkeitsverletzung umfasse, die von Gesetzes wegen nicht ausgeschlossen werden könnten.

Die Klägerin hat - soweit hier von Belang - beantragt:

Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin eine Urlaubsabgeltung in Höhe von EUR 1.799,70 (brutto) nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozent-Punkten über dem Basiszinssatz hieraus und zwar aus EUR 599,90 für die Zeit ab Rechtshängigkeit bis 25.2.2020 und im Übrigen ab dem 26.2.2020 aus dem vorstehend beantragten Betrag zu bezahlen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hat vorgetragen und die Ansicht vertreten, Ansprüche der Klägerin auf Urlaubsabgeltung seien nach § 15 des Arbeitsvertrages verfallen. Erstmalig seien Ansprüche mit der Klage und mit der Klageerweiterung geltend gemacht worden. Bereits die erste Stufe der Ausschlussfrist habe die Klägerin nicht eingehalten. § 15 des Arbeitsvertrages erfasse auch den Anspruch auf Urlaubsabgeltung als reinen Zahlungsanspruch, der nicht dem Mindestlohngesetz unterfalle. Ein Schadensersatzanspruch wegen der Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts unterfalle der Ausnahme der Ausschlussklausel.

Das Arbeitsgericht hat die Klage mit Urteil vom 9. November 2020 abgewiesen und im Wesentlichen zur Begründung ausgeführt:

Die Klägerin beantragte Urlaubsabgeltung für 30 Urlaubstage, obwohl die Parteien im Arbeitsvertrag nur einen jährlichen Urlaubsanspruch von 24 Arbeitstagen vereinbarte hätten. In Höhe von sechs Tagen s...

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