Entscheidungsstichwort (Thema)

Güterabwägung zwischen Streikrecht der Gewerkschaft und Hausrecht der Arbeitgeberin. Unbegründeter Eilantrag zur Untersagung von Streikmaßnahmen auf dem Betriebsgelände der Arbeitgeberin

 

Leitsatz (amtlich)

Ein Verfügungsanspruch für den Erlass einer einstweiligen Verfügung zur Untersagung von Streikmaßnahmen auf dem Betriebsgelände des Arbeitgebers besteht nicht, wenn bei einer Abwägung der Rechtsgüter beider Parteien (insbesondere das Hausrecht des Arbeitgebers gegen das Streikrecht der Gewerkschaft) unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit keine offenkundige Rechtswidrigkeit der Streikmaßnahmen erkennbar ist.

 

Normenkette

GG Art. 9 Abs. 3, Art. 13; BGB § 823 Abs. 1, § 1004; ZPO §§ 935, 940

 

Verfahrensgang

ArbG Pforzheim (Entscheidung vom 23.09.2015; Aktenzeichen 5 Ga 4/15)

 

Tenor

  1. Die Berufung der Verfügungsklägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Pforzheim vom 23. September 2015 - 5 Ga 4/15 - wird zurückgewiesen.
  2. Die Kosten der Berufung hat die Verfügungsklägerin zu tragen.
 

Tatbestand

Gegenstand des Verfahrens ist ein Antrag des bestreikten Unternehmens auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zur Untersagung von Arbeitskampfmaßnahmen auf dessen Betriebsgelände.

Die Verfügungsklägerin ist ein zur A.-Gruppe gehörendes Logistikunternehmen mit Sitz in P.. Die A.-Gruppe ist der weltweit größte Versandhändler. Ausweislich des Handelsregistereintrags ist Unternehmensgegenstand der Verfügungsklägerin die Erbringung von logistischen Dienstleistungen und anderen Vertriebsdienstleitungen, einschließlich der damit verbundenen Dienstleistungen. Die Verfügungsklägerin ist nicht tarifgebunden.

Die Verfügungsbeklagte ist die größte Gewerkschaft der Dienstleistungsbranche.

Bei Unternehmen der A.-Gruppe in Deutschland fanden seit April 2013 mehrere Streiks statt. Hintergrund des Arbeitskampfes ist die Forderung der Verfügungsbeklagten nach Anerkennung eines Tarifvertrags für den Einzel- und Versandhandel. Zunächst wurde die Verfügungsklägerin nicht von diesem Arbeitskampf betroffen.

Mit Schreiben vom 5. August 2015 forderte die Verfügungsbeklagte schließlich auch die Verfügungsklägerin auf, mit ihr in Verhandlungen über den Abschluss eines Anerkennungstarifvertrages hinsichtlich der Tarifverträge des Einzel- und Versandhandels in Baden-Württemberg einzutreten. Dies lehnte die Verfügungsklägerin mit Schreiben vom 11. August 2015 ab.

Am 21. und 22. September 2015 führte die Verfügungsbeklagte auf dem Betriebsgelände der Verfügungsklägerin vor dem Haupteingang Streikmaßnahmen durch.

Die räumliche Situation bei der Verfügungsklägerin stellt sich folgendermaßen dar:

Vor den 7 Drehkreuzen des einzigen Zugangs für Beschäftigte zu den Betriebsgebäuden befinden sich weiträumige Pkw-Parkplätze und der so genannten Banana Tower, die von der Verfügungsklägerin angemietet sind. Diese umzäunten Pkw-Parkplätze sind über eine an das öffentliche Straßennetz angeschlossene Einfahrt zu erreichen. An diesem Eingang sind Straßenverkehrsschilder angebracht. Auf einem von der Verfügungsklägerin angefertigten Schild heißt es auszugsweise: "Willkommen bei der A. P. GmbH. Bitte halten Sie die Geschwindigkeitsbegrenzung von 10 km/h ein! Privatgrundstück! Unbefugten ist das Betreten und Befahren verboten!". Diese Einfahrt ist in der Luftlinie ca. 600 m vom Haupteingang entfernt. Eine öffentliche Bushaltestelle ist weniger als 100 m vom Haupteingang entfernt. Nach dem unbestrittenen Vortrag der Verfügungsklägerin kommen ca. 20 % der Beschäftigten mit dem Bus zur Arbeitsstelle.

Am 21. und 22. September 2015 streikten zeitweise bis zu 35 Personen (Beschäftigte der Verfügungsklägerin und Gewerkschaftsfunktionäre) vor den Drehkreuzen des Haupteingangs. Sie stellten stundenweise 12 große Trommeln und mehrere v.-Sonnenschirme auf und verteilten verschiedene Flugblätter, in denen sie die Beschäftigten der Verfügungsklägerin über den Arbeitskampf informierten und zum Streik aufriefen. Auch nach einer Aufforderung durch die Verfügungsklägerin, das Betriebsgelände zu verlassen, setzten die Streikenden ihre Aktion fort. Zwischen den Parteien ist unstreitig, dass an diesen beiden Tagen arbeitswillige Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer der Verfügungsklägerin bei ihrem Zutritt der Betriebsgebäude nicht behindert wurden.

Nach dem 22. September 2015 fanden bei der Verfügungsklägerin bis zum Zeitpunkt der Berufungsverhandlung keine Streikmaßnahmen mehr statt. Bei der Verfügungsklägerin ließ die Verfügungsbeklagte auch nach dem erstinstanzlichen Urteil Flugblätter verteilen, in den es auszugsweise heißt "... Und wir kämpfen weiter für den Tarifvertrag! Wir geben auch in Zukunft keine Ruhe!".

Die Verfügungsklägerin hat beim Arbeitsgericht B. mit Schriftsatz vom 26. Oktober 2015 ein Hauptsacheverfahren anhängig gemacht. In diesem Verfahren ist Kammertermin auf den 7. April 2016 anberaumt worden.

In dem am 22. September 2015 beim Arbeitsgericht eingegangenen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung ist die Verfügungskläge...

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